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IFFENS vor 50 JAHREN

von Hans Meiners
das ist der Vater von Wolfgang, er ist im Oktober 1909 geboren und im November 2001 mit 92 Jahren gestorben.

Dieser Text ist in fünf Fortsetzungen erschienen in der Kreiszeitung Wesermarsch von 1966 bis 1968 .
Das ist jetzt auch schon 35 Jahre her. Den Titel habe ich aber so gelassen.
 
 

I.

Eine in Hannover erscheinende Monatszeitschrift des Landvolkes veröffentlichte unlängst einen längeren Aufsatz über Stollhamm. Heimat zwischen den Deichen lautete der Artikel und der Verfasser, ein nach hier evakuierter und jetzt wieder in Köln wohnhafter Schriftsteller, zeigte darin auf, wie und warum Stollhamm sein Dorf geworden ist.
Die so eigentümliche Geschichte des Ortes, die so typisch ländlichen Erzeugnisse seiner Fluren und vor allem das Zusammenleben von Einheimischen und Heimatvertriebenen, das alles ist es, was dem Rheinländer W.R. Riotte und dem Herausgeber der Zeitschrift einer Studie wert erschienen.
Die Lektüre dieses wohlwollenden Berichtes brachte mich alten Stollhammer dazu, über Ergänzendes und Fehlendes nachzudenken. Vor allem erscheint es mir reizvoll, noch einmal den Aspekt der Stollhammer Bevölkerung aufzugreifen, diesmal aber rückwärtsschauend; die Menschen vor 50 Jahren in unserem Orte.

In meinen Jugendjahren zwischen den beiden großen Kriegen hörte ich gerne aus alten Zeiten erzählen. Es liegt ein klein wenig Romantik darin, sich die Landschaft von einstmals vorzustellen mit ihren langgestreckten Häusern, auf Wurten gelegen oder auf Erhö-hungen, welche Reste alter Deiche waren, Bauerngehöfte mit Graft und Wall und den niedrigen strohgedeckten Katen mit tief herabhängenden Dächern, unter hohen Bäumen oft oder unter dem Deich versteckt.
Außerdem erfuhr man aus den Erzählungen "ut ole Tieden" von den Sitten und Gebräuchen, von Freud und Lust und Leid der guten alten Zeit. Man konnte sich wundervoll daran ergötzen und durchaus noch etwas daraus lernen, wenn man auf den Wandel bzw. Bestand der Dinge um die Familien und ihren Besitz Acht gab. Ein Bild aus dem Jahre 1893 mag einmal der Ausgangspunkt dieser Überlegungen sein.

Der Iffenser Stammtisch

Hier sehen wir also die Iffenser Stammtischrunde. Die kleine zu Stollhamm gehörende Bauernschaft Iffens mit nur 30 Häusern und ihren Bewohnern war zu jener Zeit weit über die Gemeindegrenzen hinaus rühmlich bekannt. Stammtischbesuchern und Nicht-Stammtischbesuchern unserer Tage mag es interessant sein zu erfahren, daß damals ein jeder Bauer zum Stammtisch gehörte und daran teilnahm. Am Sonnabend ging man sonst nicht auf Besuch, und kam etwa Besuch, so war der Hausherr recht verdrießlich. Abends zwischen 7 und 8 Uhr konnte man sie von ihren Höfen herkommen sehen, gehäbige Gestalten in schwerer, schwarzer Kleidung. Mit festem, fast eiligem Schritt, den Handstock zur Rechten, gingen sie längs der Land-straße, alle dem einen Ziel entgegen. Ernst das (meistens) bärtige Antlitz, doch innerlich frohen Sinn's: "'t is Kroogabend".
Jeder, der solch einem begegnete oder von Tür und Fenster ihn gehen sah, wußte und sagte sich ehrerbietig: "'t is Clubabend bi Carl Lang'." Weit und beschwerlich war der Weg, den einzelne sogar von Roddens, von Mitteldeich und von Kirchhöfing her machten.
Die allgemeine, regelmäßige Teilnahme war die erste Regel; sagen wie einmal im ungeschriebenen Statut der Stammtischordnung der Punkt Nr. 1. Fehlte jemand, wurde lang und breit erörtert, was da wohl los sein könnte. Angesehen vom jeweiligen Lehrer der Schule waren sie alle Bauern. Nehmen wir als Punkt 2: Es waren freie Bau-ern, die sich in zwangloser Weise versammelten, ohne Präsidentschaft, ohne Wortführer; jeder war sein eigener Herr. Sie fühlten sich in ihrer Rechtschaffenheit und ihrem Wohlstand niemandem ver-antwortlich oder verpflichtet und doch unterwarfen sie sich streng einer Sitte und einem gewissen Brauchtum, und zwar für den Preis der Geselligkeit und des öffentlichen Ansehens. Zeitweilig ging es hoch her. Am Trinken, Spielen, Wetten hatte man seinen Spaß und seinen Sport. Punkt 3 verbot die gleichzeitige Mitgliedschaft zu Abstinenzlerbünden. Punkt 4: Man durfte kein Geizkragen sein. Punkt 5 der Stammtischordnung verpflichtete die Teilnehmer dazu, die Unterhaltung zu pflegen mit Gesprächen über Neuigkeiten, in Gedanken- und Meinungsaustausch über Landwirtschaft und Politik u.a.

 Ein Prosit der Gemütlichkeit ...
Versuchen wir aus den Gepflogenheiten am Stammtisch unser nachträgliches Statut weiterzubauen, so müßte als Punkt 6 erwähnt werden, daß es ungehörig war, in langen Monologen das Wort an sich zu reißen, so daß stets die jeden anregende, niemand ermüdende Wechselrede herrschte und als Punkt 7, daß kein Streit aufkommen durfte. Es mochte vorkommen, daß zwei sich nicht gut leiden konnten, aber darum mied keiner von beiden den Stammtisch, und der Wirt sorgte schon dafür, daß sie nicht gerade nebeneinander saßen. Punkt 8 deshalb: Es lebe Iffens und Iffenser Nationallied: "Unser Iffens geht nicht unter, geht auch alles drauf und drunter usw. ... unser Iffens obenauf!"
Getrunken wurde Bier aus Maßkrügen oder sogenannten Deckelschoppen mit eingraviertem Namen. Aus besonderen Anlässen wurde "Mathilde" herumgereicht, ein Eierkognak in einem großen Kelch. Geraucht wurde die lange Pfeife, deren jeder eine extra für den Stammtisch besaß und welche ihren Platz an der Wand der Gaststube hatte. Das Reinigen der Pfeife war Aufgabe des Wirtes, dem es auch Ehrensache war, daß die Deckel der Maßkrüge so geputzt waren, daß man sich darin spiegeln konnte. Vater Lange hielt mächtig auf sich und den Ruf seines Lokals: Mit dem Leuchter in der Hand und den Kamm in der anderen, wurde vor dem Spiegel der Scheitel noch schnell gerade gezogen.

II.

Die Männer des Stammtisches von Carl Lange in Iffens kamen sonnabends nur in frischer weißer Wäsche, das war eine Selbstverständ-lichkeit. Um 10 Uhr abends löste sich die große Stammtischrunde auf und man begab sich in Gruppen an kleinere Tische zum Skatspiel, Mauscheln oder Billardspiel. Sonnabend vor Silvester schenkte Carl Lange frei Grog und Berliner. Gekegelt wurde auch.
Die Kegeljungen, welche aufsetzten, riefen bei zwei: "Jung un Deern", bei drei: "Jung un Deern un' ol' Wief", für sechs: "Halwe Dutz", für sieben: "Galgen vull", "Annemarie" für acht und "Dat ganze Batallion" für alle Neune. Blieb allein der König stehen, hatten sich die Jungens einen Groschen verdient.
Eine Sonderveranstaltung im Jahr bildete die "Iffenser Eßpartie" im Lokal von C. Lange. Dazu fanden sich auch Männer von auswärts ein, Prominente aus Varel und Nordenham, die mit Iffensern gut bekannt waren und die sich auf den Genuß feinster Speisen und Getränke verstanden. Mutter Lange war auf dem Gebiete des Kochens geradezu eine Künstlerin. Selbstverständlich wurden mehrere Gänge aufgetragen, wie Steinbutt, Rehbraten, Enten und Krebsragout. Dazu trank man Wein.
Wenn Mutter Lange das Krebsragout anrichtete, wurden die Töchter der Bauern angehalten, dabei zu sein und davon zu lernen. Wenn in der Nachbarschaft jemand krank war, ließ übrigens Mutter Lange es sich nicht nehmen, die Krankenkost zuzubereiten.
Um die ganze Vollkommenheit des alten guten Iffenser Geistes zu verstehen, muß amn wissen, daß das harmonische Zusammenleben dort um drei Brennpunkte kreiste, die unter sich verschieden und ohne Rivalität waren: Einmal Carl Lange mit seiner Wirtschaft, Handlung und Bäckerei, dann Emil Janßen auf dem nächstgelegenen Bauernhof und schließlich Schuster Hadeler in der Mitte dazwischen. Eine Stollhammer Einwohnerin, die ihre Kindheit und Jugend im nächsten Umkreis dieser Häuser verbrachte, unterbrach ihre Erzählung immer wieder: "Oh, Herr Meiners, wie war das schön, ach, welch' eine selige Zeit war das". Doch der Bericht über die Wirtschaft von Carl Lange ist noch nicht zu Ende.
Nebst Stammtisch und Eßpartie war der Kinderball oben im Saal von Lange ein Ereignis. Das gab es in der Wesermarsch nur in Iffens. Wenn Weihnachten und Neujahr vorüber waren, spukte es schon in den Köpfen der Kleinen vom kommenden Kinderball (im Februar). Die neue Haarschleife vom Weihnachtsmann, die neuen Schuhe, die zum Knöpfen waren, und die neuen Wollstrümpfe, die Mutter gestrickt hatte, wurden so lange geschont. Schließlich war der Tag da. Wenn der Linienwagen durchfuhr, kannte die Aufregung keine Grenzen mehr: "Oh, Mutter, de Muskanten sund all dor un ick bun noch gornich kämmt!" Durch die Ausschmückung glich der Saal einem kleinen Wald. Den Kindern gehörte das Feld. Manches kleine Mädchen, welches zum erstenmal da war, wollte zunächst nicht mit einem Jungen tanzen. Zum Schluß gab es Kaffee und satt Butterkuchen, dafür hatte man 30 Pfennig bezahlt, so daß arm und reich teilnehmen konnten. Die Jungens steckten sich die Taschen voll Würfelzucker und benutzten diesen gelegentlich als Wurfgeschosse. Das war wohl zu aller Zeit so: Übermut und Dummheiten wohnten dicht beieinander.

 Pantoffel unter dem Kronleuchter
Am Abend war Volksball. Die Mädchen erschienen in vollem Staat, das bedeutete, daß sie sich eine halbe weiße Schürze vorbanden. Heil und ganz, gibt schlichtem Kleide Glanz. Und lebhaft genug ging es bei dem Lampen- und Krezenlicht auch zu. Um 1 Uhr nachts wurde ein Filzpantoffel unter den Kronleuchter gehängt, zum Zei-chen, daß der Ball zu Ende war, eine Wiederholung fand erst zum Erntefest statt.
Die Kinder hatten in Iffens schon zu Ostern wieder ein besonderes Vergnügen beim Prachtfeuerwerk; dann beim Schulausflug und schließlich zu Weihnachten. Die Kinder spielten am liebsten bei Schuster Hadeler oder in der Zimmerwerkstatt von Gerhard Lübben, wo man so gütig und duldsam mit der Jugend war, daß man alle Werk-zeuge ausprobieren durfte, auch auf die Gefahr hin, daß sie dabei gründlich stumpf gemacht wurden. Wenn die Kinder bei Schuster Hadeler waren und der Schweinekofen gerade zurechtgemacht worden war, so bauten sie sich dort eine "Stube" zurecht. Nirgends war es schöner als bei "Onkel Hadeler" auf dem Schusterbock und wo schmeckte es wohl so gut wie bei Hadelers - die Speckeneier aus der mitten auf dem Tisch stehenden Pfanne. Über Hadeler ist noch mehr zu berichten.
Verweilen wir noch einen Augenblick bei den Freuden der Kinder, die man mit viel Liebe und Sorgfalt vorbereitete. Emil Janßen ver-kleidete sich mit einem von Schuster Hadeler angefertigten rauhen Rock aus Fellen und Pelzen als Weihnachtsmann und ritt auf einem Schimmel unter die Fenster. Die Kinder mußten ein Gebet aufsagen und bekamen dann Kuchen und Nüsse. Es war unbeschreiblich schön. Auf Ausflügen kaufte Emil Janßen sämtliche Automaten los und veranstaltete ein lustiges Gribbelgrabbel für die Kleinen. Wenn Schnee lag, ging er extra die kleine Dorfstraße hinunter, um sich werfen zu lassen und dann mit dem Zeigefinger zu drohen, was den Kindern natürlich unheimlichen Spaß machte. Vor dem Schuleintritt wurden die Kinder von Lehrer Düser in die Klasse eingeladen. Dann mußten ein paar Jungens auf den Hausboden gehen und den "Pflaumenbaum schütteln". Die Jungens ließen oben Kartoffeln auf die Klassenzimmerdecke fallen und kamen mit Backpflaumen von Carl Lange wieder zur Klasse herein. Mußte das aber schön sein in der Schule, was?! Daß übrigens jedes Kind wußte, wann Vater und Mutter Lange's Geburtstag war, hatte auch seinen besonderen Grund. Bei Mutter Düser war es ebenfalls sehr schön, denn dort gab es Honig auf's Brot. Die großen Jungens waren wie überall, sie heckten oft ihre Dumm-heiten aus. So hatten sie einmal hinten in der Leegde ein ganzes Weideheck für ein "Lagerfeuer" gebraucht und bei demselben Bauern, der Junggeselle war, sich den Übergang über einen Graben erleich-tert, indem sie eine Furt aus aufgeworfener Grüppenerde bauten: Slüngels weern dat!

"Ut min Hus sund all Doktors hervorgaan ..."
Die Bedeutung des Hauses Hadeler für Iffens lag nun nicht allein darin, daß es eine seltsame Anziehungskraft auf die Kinder aus-übte. Auch die Erwachsenen, die reichen Bauern, der Lehrer, die studierenden Lehrersöhne usw. fanden sich gerne in der Schuster-werkstatt ein. Das war die Börse, dort wurde "klönt un klook-snackt." Der bekannte Oldenburger Nervenarzt Dr. Düser, Sohn des damaligen Lehrers in Iffens, verbrachte manche Stunde bei Hadeler. Er liebte die Werkstatt so, daß er sie später seiner aus Süddeutschland stammenden Braut vorführte. Mutter Hadeler wollte einen Stuhl hereinbringen, aber Dr. Düser bestand darauf, daß seine Braut auf einem Schusterbock Platz nehme: "Dor hebb ick ok ummer seeten!"
Der nachfolgende Lehrer Witthus alsdann, kam genau so gerne und häufig in die Werkstatt, wie auch sein Sohn, heute Dr. Witthus in Oldenburg. Der jetzige Lehrer in Iffens hat seine Kinder auch noch zu dem alten Hadeler gehen sehen: "Laat de Kinner man ruhig herkamen, ut min Huus sund all Doktors hervorgaan!" Oma Hadeler, welche jetzt in Stollhamm wohnt, lobte dem Verfasser dieser Zeilen gegenüber besonders die Eintracht, die in Iffens herrschte. Das galt auch für das Verhältnis zu dem Nachbarn und Konkurrenten Schuster Renken. Wenn der mal etwas viel Arbeit hatte, schickten Hadelers ihre Gesellen hinüber: Helpt em man mal! Auch beim Heuen halfen sie sich gegenseitig.
 
 

III.

Soloklub tagte bei Skat und Kaffee
Mit Zimmermann Lübben und Zimmermann Harms und Hinnerk Peters van'n Diek, den Einwohnern in Iffens und darüber hinaus ein Begriff, hatte Hadeler einen Soloklub. Der tagte bei Skat und Kaffee am Sonnabend , aber nur im Winter zwischen zwei Geburtstagen (10. November bis 1. April): "Wi leeten dat ummer umgaan, ok woll ins de ganze Nach hindör ..."
Es ist noch erwähnenswert, daß Iffens, welches heute keine Hand-werksbetriebe mehr hat, damals zwei Schuhmacher, zwei Zimmerer, einen Bäcker, einen Schmied und einen Schneider hatte, alle natürlich mit ein bis zwei Kühen nebenbei. Das Land hatten sie von den Bauern gepachtet.
Hier sei mir zu obigem Kapitel vorerst ein Nachtrag erlaubt. Nach-dem ich alle Einzelheiten über Alt-Iffens gesammelt und niedergeschrieben hatte, kam ich auf den Gedanken, mir die Ausführungen über Friedrich Hadeler bei den schon genannten Herren Dr. Düser und Dr. Witthus bestätigen zu lassen und vielleicht noch etwas er-klären zu lassen, worin die Anziehungskraft des Hauses Hadeler in Iffens begründet liegen mochte. Ich besuchte also die beiden Herren in Oldenburg und da sie mir noch unbekannt, mich sehr entschuldigend für die Störung und das ungewöhnliche Anliegen, was mich zu ihnen führe. Aber dann - nie bin ich mir bei Fremden so willkommen erschienen und ich hatte das Gefühl, wie ein Freund von ihnen zu gehen.

 Eine Totenklage
Ganz verklärt sprachen sie über ihren "Schuster Hadeler", diese Hans-Sachs-Figur im kleinen Iffens, diesen Philosophen voller Humor, Gütigkeit und Zufriedenheit. Wohl war die Wohnung äußerst primitiv und der Lebensunterhalt bei dem Kinderreichtum recht dürftig gewesen und doch war ihnen die Erinnerung an alles um das Haus Hadeler eine einzige Glückseligkeit aus früheren Tagen. Herr Dr. Düser gab mir eine von ihm verfaßte Totenklage in die Hände und erlaubte mir, sie auszugsweise hier wiederzugeben:

 An Friedrich Hadeler, gest. Sept. 1945

Du guter Mann
O, hütend einst der Kindheit Tage mir!
Mein Freund. Als mir die Nachricht Deines Todes kam.
Nun schattet und umhüllt mich dunkle Trauer
Als wär' mit Dir die süße Kindheit mir
Entflohn, als wär' mit Dir ein Köstliches
Von mir ins enge Grab gesunken.
Als wäre ausgestoßen ich aus dem
Vertrautesten Bereich und dürfte nun
Zurück nicht kehren in den sanften Zauber.
Ja, wenn wir am Hause saßen auf der alten Bank
Nach allem Drang des Tages.
Mit Stammeln dann zu reden von dem Letzten,
Vom Werden, vom Vergehen, neuem Weh,
Vom Auferstehen und immer neuem Leben.
Wie Kinder träumten ungemessen wir,
Und schufen Welten und wir ließen kreisen
Die Sterne; Sonnen drinnen vollendeten
Die Bahn. Wir dachten Erden, bessere,
Die jenseits in verklärtem Glanze schwangen,
Und Weisheit, die sich dort Vollendung schuf
Und ließen Menschen höheren Wesens dort
In schöner Ordnung, frommen Einklag sein
Wie heiter war das Haus. In Deiner
Schusterwerkstatt klang der Hammer ...
Dr. Düser und Dr. Witthus baten mich, die etwas vom kleinen Dorf Iffens abseits gelegene Zimmerei von Gerhard Lübben nicht uner-wähnt zu lassen. Das war abend ein Treffpunkt der Iffenser und vieler, vieler auswärtiger Freunde und Bekannten. Mutter Lübben war lebhaft und hatte immer gleich den Kaffee fertig. Vater Lübben dagegen war still und sehr belesen. So fingen sie sich die große Welt, welche sie nie gesehen, in ihr gemütliches Heim ein, zufrieden und glücklich. Lübbens konnten das seltene Fest der eisernen Hochzeit feiern: "Wi hebbt all Hochtieden harrt", sagte Vater Lübben, damals über 90 Jahre alt, "bloot de holten Hochtied noch nich ..."

Und die großen Bauernwirtschaften
Jetzt noch einiges über die großen Bauernwirtschaften in Iffens. Als einen der drei bzw. vier Brennpunkte des geselligen Lebens in Iffens nannten wir bereits den in unmittelbarer Dorfnähe befindlichen Bauernhof, sein Besitzer Emil Janßen wurde im Laufe unserer Schilderung ebenfalls bereits erwähnt. Er, ein vermögender Mann, war der große Freund der Kinder, ein guter Gesellschafter, er huldigte verschiedenen Liebhabereien und scheute keine Kosten, wenn etwas bei der Allgemeinheit und bei ihm selbst Spaß und Interesse erregte.
Natürlich war Emil Janßen Stammgast bei Carl Lange und oft in der Werkstatt von Hadeler anzutreffen, deren Häuser übrigens auch ihm gehörten. Er war der große Spender zu Weihnachten und Ostern. Er kaufte viele Teertonnen und auch eine Menge Raketen beschaffte er persönlich. Er sorgte für alles. Damit die alten Leute beim Osterfeuer Schutz vor Wind und Kälte fanden, ließ er Wagen mit Kuhdek-ken behängen und aufstellen. Seine Rolle zu Weihnachten und bei Ausflügen erwähnten wir schon früher. Er machte die Ausflüge der Volksschule mit, obgleich seine Töchter die Privatschule besuchten. Er war der große Wohltäter, indem er Feldpostpakete packte und aus seinem Eiskeller für die Kranken der ganzen Gegend Eis zur Verfügung stellte. Für die Gründung der Molkerei zeichnete er 82.000 Goldmark, nachdem er die Hofstelle Pumpe verkauft hatte. Emil Janßen förderte auch dit geldlichen Mitteln das Zustandekommen der Feuerwehr und die Gründung des Turnvereins. Er regte die Elektrifizierung an; schließlich wurde er Gemeindevorsteher.

Sammler und allen Neuerungen zugetan
Zu seinem Privatvergnügen hielt er sich einen Landauer. Das Ge-spann, zwei prächtige Rappen, trug Geschirr mit Beschlägen aus Neusilber. Seine Töchter fuhren ein Ponygespann. Emil Janßen protegierte den Kunstmaler D. Schüßler aus dem Rheinland, der ihm die Iffenser Höfe und sonstige Motive der Marschenlandschaft malte. Er besaß selbst den ersten Fotoapparat in dieser Gegend und hatte eine große Sammlung ausgestopfter Vögel. In seinem parkartigen Garten hielt er zwei Rehe, ferner Schwäne, Goldfasanen und Eichhörnchen. Seine Landwirtschaft und Pferdezucht ergänzte er aus besonderer Liebhaberei um eine große Kaninchenzucht und umfangreiche Bienenhaltung. Sei Geburtstag war der 14. Juli und wurde mit einem prunkvollen Feuerwerk gefeiert, wie am selben Tag in Paris der Nationalfeiertag.

 Die kleine Republique d'Iffense
Iffens war aber auch Klein-Paris und Emil Janßen war etwa der Präsident der kleinen Republique d'Iffense. Die Geschichte der Janßenschen Dynastie legte er in einem prächtigen Band "Chronik der Familie Janßen zu iffens und zu Osterhausen" nieder. Darüber wird später noch zu reden sein. In Stollhamm, wo er schließlich privatisierte, betraute Emil Janßen den Lehrer Nagel damit, die Geschichte der Gemeinde Stollhamm zu schreiben. Bis 1933 übte er dort noch das Amt des Gemeindevorstehers aus. Das Gemeinderechnungswesen versah der Auktionator und Sparkassenrendant A. Schumacher, alle anderen Arbeiten, einschließlich Arbeitsvermittlung, Stempelgelder und Wohlfahrtsan-gelegenheiten und Unterstützungszahlung verwaltete er allein mit seiner Ehefrau, die von einer seltenen Rührigkeit war, jedem ein gutes Wort gönnte und trotz frühzeitigen Todes ihrer zwei Töchter und ihres einzigen Enkels ungebrochen war.

IV.

Der Großherzog zu Gast
Den Iffenser Glanz und Ruhm nach außen, welcher mit dem Besuch des Großherzogs seinen Höhepunkt fand, verbreitete vor allem Theodor Janßen auf dem Iffenser Gehöft Osterhausen.
Man erlaube mir, hier die Geschichte der Familie Janßen einzuschalten. Die Geschichte eines Landes ist oft die Geschichte seines Fürstenhauses, die Geschichte eines Dorfes ist so etwas wie die Hauschronik des Gutsbesitzers und adeligen Herrn. So ungefähr hat Iffens durch die Jahrhunderte seine Familie Janßen. Ich habe die Erlaubnis von ihr erhalten, darüber zu schreiben. Nachdem sie erfahren, daß ich Friedrich Hadeler genügend gewürdigt habe, denn auf keinen Fall möchte man den Vorrang vor dieser Persönlichkeit mit ihrem inneren Reichtum beanspruchen.
Erwähnt mag hier noch werden, daß Emil Janßen der Gemeinde testamentarisch 10.000,-- DM vermachte, die bestimmungsgemäß erst in unseren Tagen fällig wurden.
Der Grundbesitz der beiden Zweige der Familie Janßen war um die Jahrhundertwende in Stollhamm über 400 ha groß, davon in Iffens alleine 300 ha. Im Jahre 1688 taucht zum ersten Male in einem Trauvermerk des Kirchenbuches der Name Johann Tönies auf. Johan's Sohn, Meine, dann kurz Johanhsen oder Meine Janßen genannt, legte des Grund des Vermögens der Janßen zu Iffens. Er muß ein überaus gescheiter Mann gewesen sein, auch ein "redlicher und christlicher Mann" wie Pastor Ibbeken 1750 in einem Attest versicherte. Meine Janßen pachtete 1725 die Beckmannsfelder, welche Eigentum der Landesherrschaft waren und einen angrenzenden Placken neu eingedeichten Landes. Als ihm 1745 an der großen Viehseuche 50 Teile eingingen und ihm nur 1 Kuh blieb, gelang es ihm durch Bittschriften, die Hälfte der Pacht erlassen zu bekommen und von der Zahlung der Deichgelder befreit zu werden. Die Originale dieser Bittschriften sowie der Heuer-Contract von 1725 befinden sich noch im Haus und Zentral-Archiv in Oldenburg.
Der Handel mit Vieh nach Holland verhalf ihm zu besseren Einkünften, sodaß er 1745 die 26 Jück hochgelegenen Landes am Wege nach Beckmannsfeld (heute Hemken Erben) kaufen konnte. Im Jahre 1748 erwarb er die Freelssche Hofstelle mit 94 Jück in Iffens. Meine hatte 8 Kinder. Sein Sohn Johann Janßen hatte 12 Kinder und ist Stammvater von 3 Linien der Janßen, die ihm zu Iffens in nunmehr 6 Generationen folgten, den Besitz erhielten und mehrten.

 Namen aus fernen Tagen
Der häufig wiederkehrende Name Syasse (heute noch dreimal) ist dem Schwiegervater Syasse Umbsen von Stollhammer-Ahndeich entlehnt. Die Hochzeit mit der Jungfer Grete Umbsen am 26.6.1755 war ein Ereignis gewesen. 150 Stollhammer und 100 Auswärtige, bis nach Sür-würden hinunter, alles was Namen und Vermögen hatte, waren eingeladen. Die Liste der Hochzeitsgäste, welche noch erhalten ist, führte mich zu der Feststellung, daß nur 4 Namen von 150 in Stollhamm erhalten geblieben sind, aber nicht in den gleichen dort ge-nannten Bauernschaften. Bei den Auswärtigen ist es so, daß noch bei 10 der genannten 100 der Name im Butjadinger Lande besteht, mitunter im gleichen Ort, selten jedoch auf der alten Hofstelle. Es sind die Namen Lübben, Tantzen, Francksen, Töllner, Martens, Mengers, Willms, Becker, Hesemeyer und Cornelius. Welch ein Wech-sel also im Besitz des Landes.
In keiner deutschen Landschaft war so häufiges Kommen und Gehen der Geschlechter als in den Nordseemarschen. Sturmfluten, viehseuchen, Alkoholismus und unter den Krankheiten das sumpffieber taten das ihre. Es fand laufend ein Zuzug von der hohen Geest statt und für kleine Leute war nirgends die Chance des sozialen Aufstiegs größer als in dieser Marsch. Ewiger Besitzwechsel und gesellschaftliches Auf und Nieder.

Durch und durch Bauern
Darum ist der Bestand der Familie Janßen eine Seltenheit und deshalb von einiger Bedeutung. Etwas ungemein Beharrliches lag ihnen im Blut. Es gab keine Auswanderer und keine Abwanderung in andere Berufe. Nie ist ein Pastor, Doktor oder Advokat aus ihnen hervorgegangen. Sie waren durch und durch Bauern. Von Generation zu Ge-neration mehrte sich der Besitz, während andere ihn verloren. Es wurden auch nur nachbarliche oder fast nachbarliche Hofstellen gekauft. Wenn die Zeiten so schlecht waren, daß niemand Geld hatte, so war gewiß, daß die Janßens aus Gründen ihrer Sparsamkeit doch einiges Geld besaßen. Weitblick und Mut veranlaßten sie zu kaufen und sie übernahmen die Schuldenlast, die beim Hinüberwechseln in bessere Jahre unschwer abzutragen war. Sie waren wie kleine Bankiers. Wenn am 1. Mai pünktlich die Pächter und Hypothekenschuldner zu Meine Janßen (1796 bis 1871), einem Enkel des Erstgenannten und Sohn des Syasse, kamen, war die große Diele aufs säuberlichste gefegt. Die beiden Wagenleitern waren dort zurechtgelegt und das Geld in Reichsthalern abgezählt, lange Reihen rei-nen Goldes.

Kampf ums Dasein und die Art
So herrschte ein gewisser Kult um das Geld, welches damals gutes Gold war. Sein Wert und Bestand war bei Janßens selbst das, was wir ihre Beharrlichkeit nannten. Mit der selben Liebe und Akku-ratesse, mit der sie die Goldthaler vor ihren Augen ausbreiteten, hegten und pflegten sie ihre Häuser und Ländereien. Der Kampf ums Dasein und Erhalten der Arten, im Falle der Menschen das Familiengeschlecht, ging über Geld und Besitz. Strenge Formen der Erziehung greifen Platz, wo dieser Instinkt noch lebensmächtig. Es ist überliefert, daß die Kinder zu Tisch stehen mußten, dann, als sie von Haus gingen über ihr Taschengeld genauestens Rechenschaft ablegen und schließlich als Pächter ihres Vaters pünktlich das Geld bringen mußten, selbst wenn sie von ungefähr wußten, daß der Alte nicht an dem Termin zu Hause anzutreffen war. Sie mußten dort ge-wesen sein.
Mit dem allmählich wachsenden Grundbesitz und der Sparsamkeit wuchs also das Vermögen und es konnten gelegentlich mit Bargeld wiederum Ankäufe und vor allem Neubauten vorgenommen werden. Der Familiensinn war so weit gediehen, daß ein Bremer Steinhauer Beh-rens den Auftrag erhielt, für die Osterhauser Linie einen Begräb-niskeller zu bauen. Das Prachtstück von Familiengruft kostete 1000 Reichsthaler, das sind nach verglichenem Getreidewert heute 10.000,-- DM.

Häuser mit blauem Schiefer
Dann kam Osterhausen dran. Zwei Jahre baute man, 65 m lang und die Seitenmauer unter der Dachrinne in dreifacher Höhe über Normalbauart hochgezogen, Diele schon in Beton, das Wohnhaus mit Saal und großen hohen Räumen, das gesamte Dach in englischem Schiefer. Die Kosten betrugen einschließlich Nebengebäude 18.000 Reichstaler, das wären nach heutigen Verhältnissen 180.000,-- D---Mark.
Alle Janßenschen Bauten im Verlaufe der folgenden Zeit zeichnen sich durch blaues Schieferdach auf dem Wohnhaus aus; auch das Kaufhaus in Iffens und das Heddensche Privathaus in Stollhamm und Pumpe, früher alles Janßens. Hohe Zimmer, sehr viel Kellerraum, daran wurde also nicht gespart. Man distanzierte sich gewis-sermaßen mit großem Eifer von aller Enge, der offenkundigen Erdgebundenheit niedriger reithgedeckter Häuser, in denen man mit dem Vieh unter einem Dache lebte, und strebte dem Stil der Schloß- und Stadtbauten zu.
Das Drum und Dran zu Osterhausen mehrte sich besonders, als Theo-dor Janßen die Wirtschaft übernahm, es entstand ein Tennisplatz und ein Bootsanleger aus Pitchpineholz und kunstvollen Eisenstake-ten - Theodor Janßen baute insbesondere einen separaten Pferdestall mit einer Reitbahn.

Führend in der Pferdezucht
In der Pferdezucht war er führend und holte 1902 von Frankreich persönlich den Normannenhengst "Verrier" (Glasmacher) herein.
Während Emil Janßen ums Reisen nichts gab und stets den Stollhammer Kirchturm sehen mußte, besuchte sein Bruder Theodor die Weltausstellung von St. Louis in Amerika, er erwarb das Gut Neu-Lethe, welches er während des Krieges bewirtschaftete.

 Iffens und Stollhamm mit dem Zeppelin besucht
Zu jener Zeit besuchte er Iffens und Stollhamm mit dem Zeppelin. Die von ihm abgeworfenen Zeppelinpost, ein Brief in einer Öltüte mit Sand und langem schwarz-weiß-roten Band, ist noch erhalten. Theodor Janßen privatisierte dann wieder in seiner großen Villa "Haus Osterhausen" in Stollhamm, schließlich noch ein paar Jahre in Oldenburg am Cäcilienplatz und jetzt hochbetagt mit seiner treuen Gattin bei ihren Kindern auf dem Janßenschen Hof in Ahndeich.
 
 

V. / S c h l u ß

Zum Abschluß unserer Geschichte über Iffens vor 50 Jahren wären nur noch zwei große Tage auf Osterhausen zu erwähnen. Man führte dort nicht nur in der Pferdezucht, man führte auch ein großes Haus, wozu die Ehefrau, Johanne geborene Willms, durch unvergleichlichen Charme und durch heiter-kluges Wesen die Voraussetzungen mitbrachte.

 Oldenburger Sänger als Gäste
Einmal also war der Oldenburger Gesangsverein "Liederkranz" eingeladen. Alle Verwandten und guten Bekannten von Th. Janßen stell-ten Gespanne und so wurden die Sänger mit 20 Wagen von Nordenham abgeholt. Die Butjadinger Bahn gab es noch nicht. Ein großes Essen fand auf der Diele statt. Ganz Iffens hatte am Tage zuvor Granat gepult. Es gab Granat in Gelee. Am Nachmittag fand in Stollhamm in Harms Hotel ein großes Sängerfest statt, der Erlös ging an das Nordenhamer Krankenhaus für den Freibettenfonds.
die jungen Mädchen in Iffens Das Foto zeigt die jungen Mädchen des Kaffekränzchens in Iffens um 1900.
Drei (von fünf) Hemkentöchter sind dabei, oben rechts meine Grossmutter Frida Hemken

Und das größte Ereignis
Alle Iffenser Ereignisse wurden überschattet von dem Besuch des Großherzogs Friedrich August von Oldenburg auf Osterhausen. Sämtliche Iffenser nahmen irgendwie daran teil, und mancher hatte sein besonderes kleines Erlebnis, wie ich mir erzählen ließ. Schwester Minna, damals ein Iffenser Schulkind, stand Spalier mit an der Straße und überreichte dem Großherzog in seinem Landauer ein Bukett Kuhhacken (Kapuzinerkresse). "Sind das aber schöne Blumen", habe der gütige Landesvater gesagt. Eine Tochter Th. Janßens erzählt, wie sie mit ihrer Schwester vorher bei Herrn Runge, der bei Hofe verkehrte, den Hofknicks gelernt hätten. Meine Mutter, welche vom Nachbarhof war, hatte Sorge zu tragen für das Warmmachen der Speisen. Die gebratenen Hühnchen waren alle mit weißen Manschetten an den Beinen versehen. Das ganze Essen war an sich fertig vom Hotel de Russie herbestellt. Fräulein Emily Siemsen, jetzt Frau Harms, Pumpe, als schönstes junges Mädchen mußte servieren und war nicht wenig aufgeregt.
Von dem großen Einfahrttor bis zu den Wohnräumen waren Läufer gelegt in 50 m Länge. Nach der förmlich-feierlichen Begrüßung führte seine königliche Hoheit die Dame des Hauses, Frau Johanne Janßen, zu seiner Rechten und ging selbst neben dem Läufer einher.

Eine Begrüßung, die nicht vorgesehen war
Frau Janßen erinnert sich eines kleinen Zwischenfalls: man hatte einen Hund, eine Art Terrier oder Pinscher mit Familienanschluß, der war aufdringlich und doppelt anhänglich und pflegte Besuchern gleich auf den Schoß zu springen. Selbstverständlich hatte man früh genug Vorkehrungen getroffen, daß der Köter (man entschuldige diese etwas lieblose Bezeichnung) eingesperrt gehalten wurde. In der allgemeien Aufregung war nun aber doch irgednwie nicht acht genug gegeben worden; der Hund war frei gekommen, sauste schnurstracks zur Tür herein, überschlug sich fast auf dem Türvorleger, welcher auf dem frisch gebohnerten Boden verrutschte und - oh Schreck! - das kleine Biest sprang dem Großherzog kurzweg auf den Schoß. Frau Johanne Janßen war höchst entsetzt: "Seine königliche Hoheit möge entschuldigen", sagte sie, "aber ich habe extra Anweisung gegeben, den Hund eingeschlossen zu halten." "S'ist doch ein loyaler Hund" erwiderte der Landesvater begütigend.

Es wurde ruhiger in Iffens
Vor dem ersten Weltkrieg schon wurde es in Iffens langsam ruhiger. Seitdem einige Besitzer ihren Hof verpachteten und fortzogen, wechselte die Rolle, die Iffens mit seinem Stammtisch gespielt hatte, allmählich nach Stollhamm über. Darüber wäre auch nicht wenig zu berichten. Die Grundbesitzer von Iffens hatten nicht den genügenden Nachwuchs. Auf fünf Höfen waren z.B. 13 Töchter und keine Söhne, ein Besitzer war Junggeselle, die Ehe eines Besitzers war kinderlos, ein Besitzer verzog zwecks Ausbildung seiner Söhne nach Oldenburg und einige Söhne fielen.
Die Töchter heirateten alle nach auswärts und trugen die Geschichte von Iffens glanzvoller Vergangenheit mit sich hinaus, ebenso mancher junge Bauernsohn, sodaß Iffens auswärts noch so be-kannt und berühmt ist wie keine andere Bauernschaft der Wesermarsch.

"Aber es geht nicht unter ..."
Der jetzige Bürgermeister von Stollhamm und der jetzige Bürgermeister von Burhave sind beide aus Iffens gebürtig, wie auch der Landesökonomierat Ammermann. Dessen Sohn ist vor einem Jahr wieder in Iffens angefangen. Ebenso ist jetzt nach 20 Jahren ein junger Janßen - blutsmäßig eine Wiedervereinigung der beiden Janßenlinien nach fünf Generationen - wieder als Bauer in Iffens. Selbst bin ich als Enkel der 3. Janßen-Linie ebenso wieder in Iffens ansässig geworden und andere mögen folgen. Wir wollen das Kapitel Iffens hiermit beschließen und dabei zwei Sätze an den Schluß stellen, deren Gültigkeit sich stets bewahrheiten möge:

"Alt-Iffens kehrt in seinen Enkeln heim."
"Unser Iffens geht nicht unter,
geht auch alles drauf und drunter,
wie auch sei der Welten Lauf -
unser Iffens obenauf!"

N a c h t r a g :

Es ist mir, als müßte ich mich für den (obligaten) optimistischen Schlußsatz bei den 18 Alt-Iffensern, die so freundlich waren, mir Mitteilung zu machen, entschuldigen. Im Rückblick auf die alte Zeit, die sie besser mit der unsrigen vergleichen können als wir Jüngeren, mag sie mehr ansprechen, was Sir Charles Darwin, ein Enkel der Abstammungs-Darwin, sagt: "Die schönsten Jahre sind vorbei. Die Menschheit hat am Ende des vorigen Jahrhunderts den Gipfelpunkt ihres Lebensweges überschritten."
Sollte Iffens kein Einzelfall sein, sondern typisch für eine Kultur-Epoche, die abendländische etwa? Mir liegt es nun nicht, ein letztes Wort von düsterem Ausklang gesagt zu haben. Mich bewegt und erfreut, noch gerade ein Detail, welches ich bisher nicht einfügen konnte, aber unseren Iffensern von gestern und heute auch zur Ehre gereicht. Frau Martha Reimers, hier, demnächst 87 Jahre alt, die Iffens am längsten die Treue hielt, wußte mir viel zu erzählen. Einmal kam ich hin und ihre Tochter klagte, Mutter sei heute ganz böse. Alle Kreuzworträtsel seien gelöst gewesen - schließlich habe sie ihr aber wieder einen Teil ausradieren können.



Einige Gedanken und Informationen zur 100-Jahr Feier
des Hofes / Umweltstation in Iffens von Hans Meiners
1975

Vor 100 Jahren, anno 1875, ist nach dem Abbruch eines an dieser Stelle stehenden alten - und jedenfalls langgestreckten und reitgedeckten Hofgebäudes - dieses Haus erbaut worden.
Jahrhundertfeiern sind ein uralter Brauch der Menschen mit etwas Geschichtsinteresse gemäß dem Spruch eines F. Steffensky: "Ein Mensch ist der, der den Namen seiner Großeltern kennt und für seine Enkel sorgt." Meine früheste Erinnerung als 4-jähriger am 18. Oktober 1913 ist überhaupt eine Jahrhundertfeier; von dem Geschehen an sich ist mir vieles nicht mehr bewußt, aber die Pauken und Trompeten beim Umzug durchs Dorf anläßlich der Schlacht bei Leipzig vor 100 Jahren prägten sich gar leicht ein, nebst einigen Kleinigkeiten, wi z.B. daß ich noch das Gartentor sehe, in dem ich stand und von jemand an der Hand gehalten wurde. Genau genommen ist mein Vater Ernst Meiners als März-Kind von 1876 nun auch 100 Jahre alt. Ich wohne seit 40 Jahren hier im Geburtshaus meiner Mutter Frieda Hemken, die als 4-jährige in das damals neu erbaute Haus einziehen konnte. Hundert Jahre alt ist es also und ich tue bzw. plane soviel daran, daß es nochmal 100 Jahre stehen wird. Denn ich fühle mich als Treuhänder an dieser Wohnstatt in Iffens gegenüber meinen Vor- und Nachfahren.
"Zu einer kleinen Feier nun haben wir eingeladen und wir freuen uns, daß Ihr gekommen seid." Ich betrachte Euch, die Ihr mir am nächsten steht, als stellvertretend für den größereren Familienkreis, den man hätte einladen sollen. Denn ich denke, daß alle Anverwandte - mehr oder weniger bewußt - durchaus an der Erhaltung und Würdigung des Hemken'schen Großmutterhauses interessiert sind. Ich muß es schon Großmutterhaus nennen, weil kein Enkel den sehr früh (1888) verstorbenen Großvater Eduard Hemken gekannt hat, und weil der Hof sowieso Eigentum der Ehefrau Fanny, geb. Janßen war.
Laßt uns mal die Hof- und Hausgeschichte bis zuletzt aufsparen und fragen uns einmal: Woher kommen die Hemken?

 Woher kommen die Hemken?
Um die Zeit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung bzw. der französischen Revolution, also vor ca. 200 Jahren, lebten Kaufleute namens Hemken in Bockhorn und in Zetel. Die Bockhorner Hemken waren sehr wohl-habend und von dort stammen bekannte und beinahe berühmte Hemken, bsdpw. Maler, Dichter, Juristen aber hauptsächlich Kaufleute. Von den Zeteler Hemken übernahm einer 1780 eine Hofstelle in Driefel. Eilert Hemken hatte mit Wiemke Margarete Martens 12 Kinder, von denen 4 Mädchen nach Butjadingen heirateten (3 Verheiratete Janßen, eine Sagemüller).; 3 Jungen gingen nach Butjadingen auf Pacht. Renke Hemken war der Erste, der Eigentümer auf dem Hof Altendeich bei Abbehausen wurde. Er hatte mit Almuth Margarete Backhaus (ebenfalls aus Driefel gebürtig) 8 Kinder; unter diesen war Johann Eduard, der 1872 Fanny Janßen heiratete. Fanny geb. 1852 war seit 1855 Vollwaise und Eigentümerin des Hofes von Peter Meinhard Janßen, ihrem Vater. 20 Jahre lang war der Hof verpachtet gewesen, denn Fanny war sehr schlicht bei einem Onkel Wreden in der Stollhammer Wisch untergebracht und es hatte sich mithin eine gehörige Summe Geldes angesammelt. Die Eheleute Johann Eduard und Fanny konnten also den Neubau erstellen und als Fanny nach 16 Jahren Witwe wurde, ging das Land wieder in Pacht. Trotz Badereisen, Privathaus in Stollhamm und der Ausstattung von 4 Töchtern ist Fanny immer eine reiche Frau geblieben, die sich bis zuletzt zwei Pferde und eine Kutsche leisten konnte; außerdem hatte sie eine unverheiratete Tochter und ein Dienstmädchen im Haus.
Um recht viel von der Geschichte dieses Hauses und der Familie zu erfahren, fragen wir an dieser Stelle einmal danach, was das Haus zu erzählen hat.
An den Neubau erinnerte sich 1938 noch der alte Friedrich Hinrichs vom Beckmannsfeld, der allmorgentlich seine Milchkessel zur Straße karrte und gegen Mittag wieder abholte und immer zu einem Klönschnack aufgelegt war. Die Steine habe man unterm Deich von Eckwarder Spieker herangefahren. Es waren Klinker aus Steinhausen, während die Schieferplatten, die das Wohnhaus deckten, englische Schiefer waren und von England über Großensiel an der Weser kamen. Das Gebäude war wohl kleiner als das von Osterhausen, aber größer als das von den anderen Höfen. Mit 41 ha, 12 ha Grodenland und 13 ha gepachteten Hayenschloot-Leegden hatte es einen ganz normalen Zuschnitt. Man brauchte viel Bergungsraum für die Heu- und Getreideernte und für die Familie mit 7 Kindern sowie das 4- bis 5-köpfige Gesinde auf dem Hof mußte ausreichend Wohnraum zur Verfügung stehen. Großvater Eduard Hemken war zudem an der Beweidung der Oberahnischen Felder beteiligt und mußte darum auch auf Viehhandel gehen. Seinen unbeschreiblich dicken Wagenmantel habe ich noch besessen. Es heißt, daß dem Eduard Hemken nichts zuviel werden konnte und vielleicht führte diese Eigenschaft auch zu seinem frühen Tod. Er soll sich bei der Heuernte übernommen haben, eine Erkältung bekommen haben und ist dann an Lungenentzündung gestorben. Die nach seinem Tod durchgeführte Auktion brachte 101 Teile Rindvieh zum Verkauf, 10 Pfernde, Nachweide von 4 ha in Iffens und 13 ha in Roddens sowie 2 Weiden in Abbehauser Altendeich. Die Auktionsanzeige, in der noch vieles Andere zur Ver-steigerung angeboten wurde (incl. 5 Seiten Speck), befin-det sich noch - stark vergilbt - in meinem Hausarchiv. Überliefert ist noch, daß der Auktionserlös zu niedrig war, weil es ein ungewöhnlich nasser Sommer gewesen war und das Vieh in unbeschreiblichem Dreck auf dem Hofplatz draußen aufgereiht war.

Doch zurück zum Haus, als es noch voll bewirtschaftet war und wir fragen uns, wo denn die 10 bis 15 Personen alle geschlafen haben, die hier wohnten. Denn allein 5 große Räume konnten keinen Schlafplatz haben, als da waren: die gute Stube, die beste Stube, die Eßstube, die Küche und die Volksstube, in der sich das Gesinde zu den Mahlzeiten und am Feierabend versammelte. Nun, die Knechte hatten ihre Schlafkammer - wenn man das mal so nennen will - im Stall, in einem fensterlosen, dunklen Loch.
Im Wohnhaus konnten in dem riesigen Flur eine Menge Schränke aufgestellt werden, so daß man in den wenigen Schlafräumen viel mehr Platz für Schlafstellen hatte. Meistens schliefen 2 in einem Bett und so war denn auch noch genug Platz für ein extra Fremdenzimmer für Besuche. (Die Wege konnten abends für einen Heimweg unpassierbar sein.)
Es war alles geradezu herrschaftlich, wenn man die Verhältnisse mit denen der Köterhäuser vergleicht. Diese hatten neben dem Raum für Kleinvieh zur zwei Zimmer, die von zwei Familien bewohnt wurden. Die Jungens schliefen beim Vater, die Mädchen bei der Mutter und dann war da bloß ein Lehmfußboden; so habe ich das noch kennengelernt, aber ich habe mich in keiner Weise davon abgestoßen gefühlt.
Eine Entlastung für die großen Wohnhäuser bestand auch darin, daß es hier in der Marsch kein Altenteil gab. Die Alten lebten in einem Privathaus im Dorf oder sie hatten sich in der Nähe des Hofes eines gebaut. In etlichen Fällen besaßen die Hofbesitzer in der Residenzstadt ein Haus und zogen bei Abgabe des Hofes an den Sohn oder einen Pächter nach Oldenburg, in einem Fall sogar nach Bremen. Einer wollte sogar nach Bonn-Pop-pelsdorf. Einige, die mehrere Höfe besaßen, oft nur einen Erben hatten oder kinderlos waren, fühlten sich so wohlhabend, daß sie ein Auge auf das reichsdeutsche "Pensionopolis" warfen.
Witwe Fanny Hemken blieb mit ihren 5 Töchtern erst einmal auf dem Hof und lernte sie in der Landwirtschaft an. Sie kamen dann für 1 bis 2 Jahre weiter weg in eine vornehme Pension bei Herrschaften, zumeist Pastoren im Rang wie ein Konsistorialrat. Dann kam die Zeit, daß alle 2 Jahre auf dem Hof Verlobung war, und alle gingen sie auf andere Höfe, außer Berta, die lungenkrank war. Sie ging dann mit ihrer Mutter, um in einem Privathaus in Stollhamm zu wohnen. Sie hielten sich bis zum Ausbruch des Krieges 1914 dort noch einen Hausknecht bzw. Kutscher für die Kutsche mit zwei Pferden. Selbstverständlich war auch ein Dienstmädchen da.
Der erste Pächter auf dem Hof war Hinrich Bruns und so ist der spätere Landwirtschaftsdirektor Heinrich Bruns dort geboren. Der zweite Pächter war Timmermann, nachdem der Hof durch Real-Erbteilung verkleinert worden war (1917). Die Timmermanns hatten eine Tochter, die Meinardus in Norderschwei heiratete und wieder war Auktion auf dem Hof.
hier die Fotots von Ernst Meiners und
Frida Meiners geb. Hemken
Das sind die Eltern von Hans Meiners
und die Grosseltern von
Wolfgang Meiners
etwa 1940 aufgenommen.

 Ernst Meiners, der durch Los das Hofgebäude bekommen hatte, nahm keinen Pächter, sondern siedelte dort einen Landarbeiter an, weil in voraussehbarer Zeit Eduard dort zu wirtschaften anfangen würde. Das geschah dann schon 1928, als Eduard gerade erst 21 Jahre alt geworden war. Vater Ernst tätigte dazu einen Zukauf von 7,5 ha Grodenland in ziemlicher Nähe. Lediglich 9,14 ha waren ja nur beim Hof verblieben; Eduard seinerseits kaufte nochmal 10 ha im Groden dazu und pachtete rund herum noch 30 bis 40 ha. Als die nationalsozialistische Siedlungspolitik im Osten zum Angebot von beachtlichen Restgütern führte, spekulierte Eduard auf die Übernahme eines solchen in Mecklenburg.
Mit dem Angebot der väterlichen Stelle in Ahndeich und der danebenliegenden Onkenstelle von insgesamt 75 ha verließ Eduard Iffens wieder und Hans übernahm das kleinere Iffens; d.h. Vater Ernst fand gleich danach die Gelegenheit, den Mengerschen Erbanteil von 8 ha zurückzukaufen, so daß der Hof wieder auf 24,5 ha angewachsen war.

 Die Real-Erbteilungen hatten für einen Hof schwere Folgen, wie das Beispiel des Fördelmann Hofes in Iffens zeigt, der mit seinen 70 ha unter drei Töchtern aufgeteilt wurde.
Was weiß man über die Geschichte dieses Stückchens Erde, auf dem wir wohnen? Eine Fülle von Aussagen können da gemacht werden. Es vermengen sich Angaben zur Geschichte dieses Hauses, zur Geschichte dieser Landstelle und zur Geschichte der Besitzer. Auch das "Wie" erinnert wird, läßt sich aufgliedern nach den verschiedenen Quellen, als da sind:
1. Erinnerungen, die wir haben, oder Erzählungen, die wir hörten;
2. Niederschriften im Zuge einzelner Nachforschungen oder ältere Niederschriften;
3. Chroniken, Kirchenbücher und Karten oder das Brandkassenregister (seit 1793);
4. Haus- und Ofensteine und Grabplatten.

 Für diesen Hof wurde Folgendes gefunden:
ein Hausstein an der Giebelmauer trägt den Namen des Erbauers Eduard Hemken und seiner Frau Fanny Hemken, geb. Janßen;
ein Ofenstein, der beim Bau einer Klärgrube gefunden wurde, trägt die Jahreszahl 1673 mit den Buchstaben "G.V.", welches Günter Umbsen heißt;
die Grabplatte, die vom Friedhof anläßlich der Auflösung der sonst immer zum Hof gehörigen Begräbnisstätte hier im Garten abgelegt wurde, führt als den frühesten Namen Reiner Cornelius mit der Jahreszahl 1637; das älteste Dokument über einen Bewohner an diesem Platze findet sich in den Deichbaulisten, wo es zum Bau-abschnitt Anno 1555 heißt "bei Hajo Syabben Haus".
Damit wäre die bis heute bekannte Reihe der Bewohner dieses Platzes erstellt:
Syabben - Cornelius - Umbsen - Janßen - Hemken - Meiners.


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