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    Kurzreferat gehalten am 13.1.94
    im Hörsaal B des Chemischen Institutes der Uni Hamburg
    Dr. Wolfgang Meiners

    QUO VADIS - CHEMIE UND UMWELTBEWEGUNG

    Die Frage „Quo vadis“ leitet stets Denkpausen ein, sie dienen wie Bilanzen und Besinnungen der Orientierung. Ich stoppe meinen Gang und ordne meinen Weg - oder sortiere meine Wegvarianten.

    Die Analogie zu dem realen Gehen und Suchen meiner Wege in einer Satdt ist gegeben.
    Dabei mache ich eine Pause und benutze meinen Stadtplan.

    Ich breite ihn aus, betrachte mein Umfeld, finde meinen Standort, suche meine Ziele, mache kurz und langfristige Pläne, wäge Alternativen ab. Und dann falte ich den Plan wieder zusammen, bis zur nächsten Weg- und Denkpause.

    Quo vadis ist eine einfache Frage, die immer dann gestellt wird, wenn die Antwort kompliziert ist. Quo vadis steht oft stellvertretend für einen grossen Berg an verschiedener Fragen und ich nutze die Chance dieses Vortrags, um ein wenig an diesem Berg herumzuschaufeln.

    Ich will dies als Chemiker machen, genauer: als umweltbewegter Chemiker.
    Ich habe mich in der chemischen Analytik spezialisiert und arbeite gelegentlich zur Umweltanalytik im Auftrag von Umweltverbänden oder der Industrie. Die Berufsfeuerwehr unterrichte ich in Chemie und auch in politischen Gremien habe ich als parteiloser Berater Erfahrungen gesammelt.

    Weiterhin bin ich gemeinsam mit dem Iffens-Team als Landwirt auf einem Kleinbauernhof und mit der Umweltstation in Iffens beschäftigt. Unsere Schwerpunkte sind die Alltagsökologie, das Wattenmeer, die Umweltbildung und eben auch die Chemie.

    In der Fachschaft Chemie an der Uni Freiburg begann ich vor 25 Jahren mit der Umweltdiskussion. Unser Lernfeld war in diesen Anfängen der Umweltbewegung nicht nur die Hochschule, sondern auch die Strasse. Uns halfen Querdenker aus der naturwissenschaftlichen Praxis, aus der Industrie und der Politik.

    Ich habe die Uni 1978 (zehn jahre nach den 68-ger-Gedanken) zu einer Zeit verlassen, als der Bildungsanspruch der Hochschulen zu einem Ausbildungsanspruch wurde.

    Seitdem habe ich gelegentlich Lehraufträge und regelmäßig viele Kontakte mit Studentengruppen verschiedener Unis und verschiedener Fachrichtungen, die zum Beispiel auch in Iffens Kurse machen. So bin ich also in verschiedenen Bereichen der Umweltbewegung tätig, nicht nur als Freiberuflicher Chemiker, sondern auch mit einem Spielbein in den Hochschulen.

    Aus dem Blickwinkel dieser (Berufs-)Erfahrung möchte ich die Quo-vadis-Fragen betrachten.
    Zweifellos schwimmen wir als kritische Wissenschaftler in der Umweltbewegung gegen den „gesellschaftlichen Strom“. Und der Strom der Konsumgesellschaft trägt uns in den letzten Jahren deutlich weg von unseren Zielen, während wir gleichzeitig - relativ zur Gesellschaft - Fortschritte machen.

    Ist dies eine aussichtslose Lage, ist nun Galgenhumor angesagt ?

    Gesellschaft ist - wie eine chemische Theorie - keine "absolute oder wahre" Gesellschaft. Sie ist veränderbar und kurzlebig. Diese Variante der "harten" Konsumgesellschaft kann sich in kurzer Zeit auch wieder anders entwickeln. Umweltbewegung hat versucht Gesellschaftsströme sehr radikal zu verändern, sie zu blocken. Atomkraft, Individualverkehr, Tablettenmißbrauch, Waldsterben, Artenausrottung, Ozonloch und viele andere Löcher im gesellschaftlichen Handeln sind Beispiele dafür.
    In dieser Umweltbewegung dominiert die Chronik der Mißerfolge, nur wenige Erfolge waren zu verzeichnen: Verbot von Chloroform in Lebensmitteln, von Cadmiumfarben in Kunststoffen Reduzierung von Benzol in Benzin, CKW - Gesetz, BImsch, etc.

    Wo ist also eine neue Chance der Veränderung, und welchen Beitrag sollen ChemikerInnen dabei leisten?

    Die Diskussion um die Veränderung der Universitäten hat wieder Hochkonjunktur, da sollten doch auch Änderungen möglich sein, die im Sinne der Umweltbewegung nötig und möglich sind. Diese Vortragsreihe, die von der Studentenschaft der chemischen Fakultät der Uni Hamburg selbst organisiert wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

    Ich kann Anregungen geben für solche Veränderungen, aus meinem persönlichen Blickwinkel. Eine Auflistung der Gedanken und Forderungen ist weder vollständig noch gibt sie Patentrezepte. Ich nenne Probleme, die diskutiert und gelöst werden müssen, damit sich in der Umweltbewegung (die auch von ChemikerInnen getragen wird) noch etwas bewegen kann.

    Nebenqualifikation

    Ein sehr guter chemischer Fachidiot ohne Ahnung von Umweltproblemen ist für die heutige Industrie wertlos. Die hohe fachchemische Spezialisierung ist weder von der GdCh/VCI noch von der Industrie gewollt, sie ist eine tragische Eigendynamik der Uni-profs mit angeschlagenem Selbstwertgefühl.
    Weil es heute in den Personalbüros 100 Bewerbungen mit guten (fachidiotischen) Noten gibt, werden allgemeine Qualifikationen, wie zum Beispiel, der Ökoführerscheinkurs der Umweltverbände, entscheidend für die Auswahl. Wenn sie die Teilnahme oder besser die Organisation dieser Veranstaltung in die Bewerbung hineinschreiben, kann das mehr Bonus bringen, als eine gute Note in physikalische Chemie.

    Ein solides Alltagswissen und breite Nebenqualifikationen sind besonders bei der Lösung von Umweltproblemen erforderlich. In einem Interview der GdCh- "Nachrichten.aus Chemie und Technik" rät der neue GdCh-Vorsitzende und BASF-Chemiker in zehn von fünfzehn Zeilen zur Nebenqualifikation. Dieser Aspekt ist ihm also doppelt so wichtig wie das Gerede von der Studienzeit auf den restlichen fünf Zeilen.

    Teamtraining

    Der Einzelkampf der StudentInnen an den Ausbildungseinrichtungen ist extrem unökologisch. An der Ökologie sollten wir Teamarbeit lehren und lernen. Kooperation und Kommunikation sind in den Chemiegruppen der Industrie, in denen ich mitgearbeitet habe grundsätzlich wichtiger als der akademische Abschluß. Es gibt in der Umweltbewegung zwar auch wie in der Chemie "Namens-Größen", die reale Bewegung braucht jedoch vernetzte Teams in denen der Einzelne besser kooperieren als vor sich hinleuchten soll.

    Ehrlich sein

    Es gibt eine Verantwortung in der Wissenschaft.
    So wie ein Arzt auf Krankheiten hinweisen soll, so soll der Chemiker Stellung zu chemischen Umweltproblemen beziehen. Nicht nur wenn er gefragt wird, sondern immer dann, wenn ihm jemand zuhört: in der Vorlesung, im Praktikum und in seinem persönlichen Alltag.

    Er soll zum Beispiel Stellung beziehen zu Themen wie:
    - chemische Giftgase und chemische Kriege
    - Benzol im Benzin
    - PVC und Chlorchemie
    - Vanillin in Nahrungsmitteln
    - Methanolbränden mit schwarzer Rauchentwicklung (Hoechst)
    - chemische Altlasten des letzten Krieges
    - Adombran- Mißbrauch (Lexotanil)
    - Deponie Georgswerder oder Schönberg
    - Chemikalien gegen Bürger in Wackersdorf

    - die Liste kann lang werden

    Dritt-knete

    Die Drittmittelforschung hat eine Nebenwirkung, die den Tod der normalen Universität bedeutet. Forschungsergebnisse werden nicht öffentlich und Gutachten werden nicht lektoriert. - zwei gravierende Fehler, die eine ökologische Kompetenz der Universitäten im Keime ersticken.

    Ich lese gelegentlich "Gutachten" über umwelttechnische Fragestellungen, die in Erörterungsverfahren von den Behörden ernst genommen werden, die jedoch als Hausarbeit oder als wissenschaftliche Veröffentlichung völlig unzureichend sind. Die Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens werden zuzgunsten des geldgebenden Auftraggebers vergessen.

    Ordinarien, die mehr als 6000,- DM in Monat kassieren wollen, haben mit vielen schönen Sprüchen die Drittmittelforschung in die Unis gebracht, und dafür die Spielregeln des wissenschaftlichen Arbeitens geopfert. Wenn dieser Kuhhandel beendet wird, haben wir weniger Gefälligkeitsgutachten und Vernebelung der wissenschaftlichen Arbeit. Die Umweltbewegung würde davon profitieren.

    Fehlstart

    Erstsemester fangen heute ihr Studium mit langen Vorträgen über die Arbeitslosigkeit und die Aussichtslosigkeit des Chemiestudiums an. Dieses Geblubber zeigt die heutige Dekadenz der Uni am Besten. Selbstverständlich könnten die Ordinarien auf den engen Arbeitsmarkt hinweisen, aber vorrangig sollten sie sagen, daß Chemie heute Probleme zu lösen weiß (oder etwa nicht?), daß Kompetenz vermittelt wird, die auch in anderen Jobs wichtig ist, und daß Chemie Spaß macht (oder machen könnte), daß Chemie ein Teil des Alltags ist, in dem wir (wie es die Umweltmisere zeigt) noch viel lernen und tun können.

    Spaß

    Problemlösungen im Umweltbereich erfordern viel Phantasie und Kreativität. Dabei ist Witz und Spaß genauso wichtig wie gute Kenntnisse und Handfertigkeiten. Die griesgrämige Ernsthaftigkeit des introvertierten Forschers ist ein Witz, über den ich nicht mehr lachen kann.

    Aufräumen

    Das "Chemische Denken" ändert sich zwangsweise. Die Frage ".. und wer räumt auf?" habe ich bei einer Chlorchemie-tagung gestellt:

    Hier der Text:
    Stell dir vor, du hättest dem Maler den Auftrag gegeben, er soll die Wände deines Zimmers tapezieren und streichen.
    Der Maler ist am nächsten Tag fertig und kassiert von dir 1300,- DM .
    Du kommst in das Zimmer und siehst die fertigen Wände, aber du siehst auch, daß der Maler alle Werkzeuge, Leiter, Kittel, leere und halbleere Farbtöpfe stehen gelassen hat.
    Du sollst selbst aufräumen. Als Normalbürger brauchst du die Werkzeuge und die Farbreste nicht - dir bleibt nur, sie wegzuwerfen. Die Müllabfuhr ist gefordert, und weil viele Reste in der Umwelt Sondermüll sind, kommen die Deponiesanierungskosten etwas später.

    So wäre es mit einem Maler des Unternehmens EX UND HOPP.

    Aber bisher arbeiten die meisten Maler bei der Firma SORG UND FALT.
    Sie sind Fachleute auch beim Aufräumen, sie verwenden die Trittleiter, die Kittel usw häufiger. Und sie benutzen die Farbreste bei den nächsten Aufträgen. Mit dem gleichen Sachverstand, den sie bei der Renovierung des Zimmers eingesetzt haben, beseitigen sie die Reste ihrer Arbeit.
    Und dann ist der Auftrag, den du ihnen erteilt hast beendet.
    -- erst dann.

    Die Kostenrechnung der Firma SORG UND FALT wird zunächst etwas höher ausfallen, du sollst 1340,- DM bezahlen. Jedoch sind die Kosten der Müllabfuhr und die Kosten des Sondermülls sehr viel geringer.

    Die Gegenüberstellung der Kosten zeigt das:

    Wir haben der Chemie den Auftrag gegeben, für unseren Alltag Produkte herzustellen.

    Die Chemiker führen den Auftrag aus, und kassieren.

    Mit Schrecken sehen wir nun, daß bei der Produktion Reste angefallen sind - und wir sehen, daß die Reste für Natur und Umwelt gefährlich sind.

    Wir versuchen die Reste zu erfassen, zu verwalten und zu behandeln. Und dabei hält sich die Chemie vornehm zurück, denn sie könnte die Reste mit dem gleichen Sachverstand chemisch bearbeiten, mit dem sie die Produkte hergestellt hat.

    Aber dann würden die Kosten der Restebehandlung, des Aufräumens, in den Kosten des Produktes enthalten sein.

    Die Erfahrung hat nun gezeigt, daß die Aufräumkosten bei der Chlorchemie überraschend hoch liegen. Ein Produkt wie PCB würde, inclusive Auräumen, vielleicht zehnmal so teuer sein. Deswegen können wir uns auch schon mal dazu entscheiden, auf ein solches Produkt zu verzichten, - weil es uns zu teuer ist.

    Hatten wir den Auftrag an die chemische Industrie bisher falsch formuliert, oder sind wir betrogen worden ?

    BETRUG ist das erst, wenn:

    - Wir glauben, solche chemischen Produkte seien billig.

    - Wir solche Billigprodukte verwenden, ohne uns um die Probleme der Reststoffe zu kümmern.

    - Wir der chemischen Industrie das Aufräumen erlassen.

    - Wir chemische Produkte mit modernen Methoden von 1990 herstellen, die Reste aber mit Methoden von 1890 behandeln.

    - wir aus der Vergangenheit nicht lernen und den Auftrag an die chemische Industrie nicht neu formulieren.

    Soweit also sieben Gedanken zur Orientierung der ChemikerInnen in der Umweltbewegung.

    Die ChemikerInnen an der Universität können diese Fragen diskutieren lösen, um dann in der Umweltbewegung aktiv zu werden. In das akademische Studium müssen wir die brennenden Probleme der Umwelt einbeziehen. Sollen etwa "Politiker" chemische Umweltprobleme lösen?

    Der eingeschlagene Weg dieser Vortragsreihe an der Universität Hamburg ist für mich der richtige. Mit ihm hat die Umweltbewegung eine Zukunft, ein Weg und ein Ziel.


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