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Dies ist die Seite für Gertrud Becker


Eine traurige Nachricht

Am 28.Februar 2014 ist Gertrud Becker gestorben.
Sie war viele Jahre unsere Vorsitzende im Verein und hat sich unermüdlich für die Natur und die Umwelt eingesetzt.
Getrud war die letzten Jahre im Altenheim in Nordenham und ist 92 Jahre alt geworden.
Unvergessen sind ihre Neugier und ihre Hartnäckigkeit im Umweltschutz.



Gertrud Becker aus Nordenham war seit der Vereinsgründung die Vorsitzende unseres gemeinnützigen Vereines Umwelterziehung Iffens e.V.
Hier ist Ihr ein Bereich der website gewidmet, auf der wir von ihrer Arbeit berichten. Geplant ist auch hier einige Einblicke in ihr ausführliches Archiv zu den Umweltproblemen in Nordenham zu geben.
Die Pressemitteilung vom Juni 2003
Portrait und Laudatio zur Preisverleihung
Text aus der Nordwest Zeitung vom 22.10.03
Das Lied von Faltenrock: Miss Marple

Pressemitteilung :
Gertrud Becker erhält den diesjährigen Solbach-Freise Preis für Zivillcourage

Eine wie Gertrud

Die diesjährige Preisträgerin der Solbach-Freise-Stiftung für Zivilcourage ist Gertrud Becker, 81, aus Nordenham.

Sie ist die achte in einer eindrucksvollen Reihe von Preisträgern, die alle an unterschiedlichen Brennpunkten des öffentlichen Lebens, notwendigen - weil: Not wendenden - Mut gezeigt haben: Sei es als Polizist (Preisträger 1997), der gegen eigene Kollegen die unwürdige Behandlung von Asylbewerbern anprangerte, oder als Pater (Preisträger 2000), der auch den Konflikt mit seiner Obrigkeit keineswegs scheut, wann immer er die "kapitalistische Globalisierung" und deren unmenschliche Folgen brandmarkt. Zivilcourage ist der Mut, das Selbstverständliche zu tun, das leider alles andere als selbstverständlich ist.

Gertrud Becker hier mit Walbert Strahlmann auf dem Podium Gertrud Becker ist die zweite Frau, die den Solbach-Freise Preis erhält - nach Dr. Erika Dress aus Stendal, deren Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen vor und nach der Wende als beispielgebend gelobt wurde.

Gertrud Becker blickt auf 35 Jahre Kampf gegen schleichende und teils offen brutale Umweltvergiftung in der Nordenhamer Region zurück. Wesentlich ihr ist es zu danken, dass die Abwiegelungspolitik, die Beschönigungen und Beschwichtigungen in Sachen Blei-Skandal nie die einschläfernde Wirkung erzielen konnten, die sich interessierte Kreise in Industrie, Verwaltung und Öffentlichkeit gewünscht hätten. Mit frappantem Fachverstand und dem Charme einer "harmlosen Frau vom Land" redete und schrieb sie Klartext.
Sie scheute sich zum Beispiel nicht, die Notwendigkeit von Sperma-Untersuchungen in Belastungsgebieten zu propagieren und sich damit zur Zielscheibe für Spott und Häme zu machen. Ihrer Beharrlichkeit ist es zu danken, dass Kataster für Schwermetallbelastungen angelegt wurden, die schnell den Rang von Krebskatastern erhielten. Sie beharrte auf Veröffentlichung, regte wissenschaftliche Arbeiten an, versorgte Studenten und Schüler mit giftigem Basismaterial. Sie war da - immer, fraglos, klaglos, zuverlässig. Und Experten, die ihr bei allfälligen Anhörungen oder Info-Abenden standhalten wollen, sei es in Atom- in Schwermetall- oder in Rüstungsfragen -, mussten sich warm anziehen. Gertrud Becker hat das absolute Gespür für ausweichende Antworten ... und sie lässt das nicht zu!

Das Wunderbare für all jene, die dieses Langzeit-Engagement staunend betrachten: Die Ex-Medizinstudentin, Ex-Lehrerin, Landwirtin und Hausfrau aus Nordenham ist nie bitter geworden. Sie trägt nicht das wohlbekannte, tief eingefressene Syndrom der Niederlage mit sich herum, das vielen Umweltaktiven ins Gesicht geschrieben steht.

Gertrud Becker hat eine unbekannte, aber sicher keine kleine Zahl von Menschen ermutigt: Keine Angst vor Fach-Chinesisch! Keine Angst vor Experten - auch deren Wasser kocht bei 100 Grad! Keine Angst vor den näselnden Kommentaren all derer, die ihr fachlich nicht gewachsen sind und es deshalb gern mal mit etwas Ehrabschneiderei versuchen.

Den Preis erhält Gertrud Becker für den Mut, in einem keinesfalls immer nur dankbaren Umfeld ("... seltsamerweise reden gerade die Bauern, auch die umweltkranken und die, denen die Kühe umfielen, nicht gern von dem Problem ..." so Gertrud Becker) über Jahrzehnte die Ankerfrau des kämpferisch-wissenschaftlichen Umweltschutzes gewesen zu sein.

Die offizielle Verleihung des mit 3000 Euro dotierten Solbach-Freise-Preises findet Mitte Oktober in Bodenwerder statt.

Iffens, den 7.Juni 2003


Portrait einer Umweltschützerin aus Nordenham

Eine wie Gertrud

Wer sich aus Gertrud Beckers Leben erzählen lässt, blickt irgendwann auf seinen eigenen Maßstab, mit dem man bei und an sich selbst Lebenslust und Lebensfrust misst: Hätte ich das auch nur annähernd geschafft, fragt man, und kann sich nur kleinlaut selbst die Antwort geben. Nie und nimmer!

Fünfunddreißig Jahre Kleinkrieg mit Umweltvergiftern im Raum Nordenham, mit Behörden, mit Politikern, mit Experten - echten und sogenannten. Zimmerdeckenhoch "giftige" Dossiers, vollgestopft mit sperrigem Fachchinesisch. Menschliche Enttäuschungen, kleine Siege, große Niederlagen .... also: Wie hast du das durchgehalten, Gertrud?

Wer auf so eine Frage eine sehr ökologisch/moralisch-korrekte Antwort von der 81jährigen Umweltschutz-Legende erwartet - etwas wie: "Verantwortung", "Verpflichtung gegenüber kommenden Generationen" oder dergleichen - der sollte sich auf eine Verblüffung gefasst machen: "Es war spannend, es hat Spaß gemacht, und neugierig war ich schon immer", sagt sie; und dass sie ihre Neugier nicht an ausgefallenen Kochrezepten, chinesischen Blumenvasen oder Briefmarken ausgetobt hat, ist ein Glücksfall für die Region. Oder sagen wir es präziser, für all die, die nicht wollen, dass über verseuchte Böden und Gesundheitsrisiken routiniert hinweg geschwiegen wird.

Kann man Glücksfälle erklären?

Wohl nur ansatzweise. Gertrud erinnert sich an die späten Zwanziger im Hannoverschen Wohnhaus ihrer Eltern; dort wurde oft und offen politisch argumentiert, und Klein-Gertrud fand es hoch spannend, zu ergründen, um was es bei diesen Erwachsenengesprächen eigentlich ging. Dass sie es damals natur- und altersgemäß noch nicht richtig erfassen konnte, half ihr, diese goethische Spannung aufzubauen, die ihr lebenslang geblieben ist: "... zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen!"

Ökologie und Umweltschutz waren damals natürlich noch keine expliziten Themen; aber implizit schon: "Wir hatten ja Grundbesitz in Nordenham; meine Eltern stammen von Blexersande. Und schon mein Vater hatte sich um das Problem der Bleibelastung Gedanken gemacht."

Nordenham war schon 1906 als Industrie-Schwerpunkt ausersehen. Die Genehmigung zum Bau einer Zinkhütte für die Metallwerke Unterweser AG bewog Gertrud`s Vater zu der Einschätzung, man solle "mit all dem Schietkram" doch lieber in die Lüneburger Heide gehen mit ihren leichten Böden und nicht auf die schweren Marschböden, in denen sich Schwermetall-Rückstände leicht und langfristig anreichern. Wie prophetisch seine Bedenken waren, sollte der Fortgang des zwanzigsten Jahrhunderts erweisen. Tochter Becker hatte einen erheblichen Anteil daran, das Thema auf die politische Agenda zu setzen.

Aber der Reihe nach: Ausgebombt in Hannover, kroch Gertrud nach Kriegsende bei ihrer Großmutter in Nordenham unter. Hier lernte sie ihren späteren Ehemann, den studierten Landwirt Fritz Becker kennen; man heiratete 1950, drei Söhne wuchsen heran. Die Familie, ganze besonders Ehemann Fritz, tolerierte und unterstützte Mutters Umwelt-Engagement.

"Dann kam die Zeit, als so ganz langsam das Wirtschaftswunder begann; damals waren rauchende Schlote noch was ganz Unschuldiges ... so `was wie Symbole dafür, dass es wieder voran geht", erinnert sich Gertrud. Aber schon bald verdichteten sich die Vermutungen und Indizien, dass Bleiverhüttung nicht allen gut tut, wohl sicher nicht den Böden, den Pflanzen - und den Pflanzenfressern, den Kühnen schon gar nicht. "Die Diskussionen liefen lange so ganz schwach im Hintergrund. Tagesgespräch war das aber nicht. Und wenn man auf Geburtstage oder kleine Feiern ging und das Thema mal ganz leicht antippte, dann war das bei den Bauern kein beliebter Gesprächsstoff. Obwohl sie die eigentlich Betroffenen waren und sind. Das ist ja so geblieben. Man redet da nicht drüber."

Das wurde erst anders als es in der Wesermarsch einen optischen Kristallisationspunkt gab für Gefühle und ahnungsvolle Ängste: Im Frühjahr 1972 fielen in Nordenham über 100 Kühe tot um; deutlicher hätten sie nicht sagen könne, wie unbekömmlich bleiverseuchte Weiden sind. Spätestens jetzt musste die Politik des Kleinredens, des Vertuschens und Abwiegelns - zumindest zeitweilig - ausgesetzt werden. Politische Reaktionen waren gefragt; aber um sie auch tatsächlich greifen zu lassen, brauchte es Menschen wie Gertrud Becker.

Die Landwirtsfrau mit vier Semestern Medizinstudium unterrichtete zu dieser Zeit als Lehrerin in Nordenhams Süd-Schule (damals noch Volksschule); und ihr war klar: "Wenn da nicht Druck von unten kommt, dann ist schnell wieder Schluss mit der Alarmstimmung."

Und weil man unter bestimmten Umständen am besten dort anpackt, wo man sowieso schon steht, bekam Gertruds naturkundlicher Unterricht eine sehr aktuelle Note: Sie untersuchte mit ihren Schülerinnen Bleischlacke, die leichtfertig als Wegbefestigungen und Sportplatz-Beschichtung im Stadtgebiet von Nordenham entsorgt wurde.

Die Presse interessierte sich und auch die Schulleitung, der Gertruds "entdeckendes Lernen" ganz und gar nicht ins Konzept passte. Es gab eine Vorladung beim Oberschulrat in Oldenburg; aber Gertrud Becker, die sich innerlich schon ein wenig darauf eingerichtet hatte, dass dem lokalen Gegenwind nun wohl ein regionaler Gegensturm folgen würde, sah sich angenehm enttäuscht: Es gab Lob und den explizit geäußerten Wunsch, die Region möge in Zukunft doch bitte mehr kritische Lehrer vom Schlage einer Gertrud Becker haben!

Ja, es ging etwas voran, in den frühen Siebzigern. Der Ärzteverein Butjadingen traf sich am 10.1.1973 zu seiner ersten so genannten "Bleitagung"; Feldstudien, Diplomarbeiten und Dissertationen wurden angeschoben. Das Bundesgesundheitsamt ließ in Nordenhamer Krankenhäusern Plazentagewebe (Nachgeburten) untersuchen.

Und wieder war es Gertrud Becker, die dem amtlichen Fachverstand (den sie nicht grundsätzlich anzweifelte) ihre wissenschaftlich geschulte Logik entgegen setzte: Welcher Sinn oder Unsinn, fragte sie sich und andere, sollte wohl darin verborgen liegen, als Vergleichsgebiet für das belastete Untersuchungsgebiet ausgerechnet den Raum um Brake heranzuziehen - eine Region, die durch Stäube aus einem ehemaligen Schiffsabwrackbetrieb belastet ist. Wollte man Statistik bewusst als Beschwichtigungsmittel einsetzen, indem man "schlimm" mit "sehr schlimm" verglich, um so nur beruhigend kleine Differenzen festzustellen?

Wie dem auch sei, das Menetekel der toten Kühe hatte zur Folge, dass Nordenham und Umgebung zoniert wurde. In der Null-Zone, auch tote Zone genannt, dürfen in einem Anderthalb-Kilometer-Radius um die Hütte keine Nutztiere im Freien gehalten aber durchaus Gemüse angebaut werden.

Erneut ins Gerede brachte sich Gertrud Becker, als sie sich 1982 beim Landvolk dafür einsetzte, dass sich Männer der Region möglichst zahlreich an einer wissenschaftlichen Spermien-Untersuchung auf Blei, Cadmium und Chlorkohlenwasserstoffe beteiligen sollten. Eine Frau, die ganz offen den Griff unter die hoch tabuisierte männliche Gürtellinie verlangte - und das auch noch im Dienste der Volksgesundheit? Das fanden viele einigermaßen unerhört.

Gertrud trommelte Alarm, und das blieb zum Glück nicht ungehört. Mit Hilfe der Presse und der Stadtverwaltung wurde aufgeklärt, und man(n) gehorchte schließlich der Stimme der Vernunft.
Wie sinnvoll die Untersuchungen des Bremer Umweltinstituts waren, belegten die Ergebnisse. Bei 100 Proben stammten die 8 Spitzenwerte aus der unmittelbaren Umgebung der Bleihütte in Nordenham. Es erwies sich indes als erstaunlich schwer - oder doch eher nicht erstaunlich? - an Ergebnisse zu kommen, die lediglich englischsprachig veröffentlicht wurden. Ein Zufall?

Gertrud Becker versuchte, das öffentliche Interesse wachzuhalten; aber die Presse fand das Thema schon bald "abgeschrieben"; vielleicht hatte sie auch nur das "richtige" Gefühl dafür, dass sich ihre Leserschaft nicht gerne über Gebühr beunruhigen lassen wollte.

Ein Phänomen, über das sich Gertrud Becker im Laufe ihrer ungezählten Arbeitstage für eine lebenswerte Nord-Wesermarsch noch häufig wundern sollte: Der Warner vor Brunnenvergiftung ist unbeliebter als der Brunnenvergifter selbst. Anflüge von Bitterkeit wetterte sie mit ihrem Standardspruch ab: "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt`s sich gänzlich ungeniert!"

Aber es nützt dem Umweltschützer - dies im übrigen eine Erfahrung vieler Menschen, die in den Siebzigern und Achtzigern gegen Umweltskandale aufstanden! - für seine künftige Arbeit kaum etwas, wenn sich die bisherigen Warnungen und Forderungen als richtig erweisen: "Mit dem Krebskataster war das auch so`ne Sache. Als wir uns 1978 dafür interessierten, in welchen Gebieten in und um Nordenham gehäuft frühe oder ungewöhnliche Todesfälle auftraten, da reagierte die Industrie sehr empfindlich ... also die Industrie, meine ich, die Bürger reagierten erst mal gar nicht."

Gertrud Becker war alarmiert von gehäuften Todesfällen in ihrem näheren und weiterem Bekanntenkreis. Ihr Vorschlag: Man solle doch untersuchen, ob es einen statistischen Zusammenhang zwischen frühem Tod und Krebsleiden auf der einen Seite und deren Häufigkeit in unterschiedlichen Schwermetall-Belastungszonen (im Umfeld der Metallhütte) gäbe.

"Ich habe damals Unsummen vertelefoniert. Gelder gab es für solche Untersuchungen natürlich nicht. Die Amtsärztin sagte mir, da könne man nichts machen. Sie war furchtbar freundlich, aber sie traute sich nicht. Der Stadtdirektor Knöppler hörte sich alles an, schien auch ganz erbaut von meinen Vorschlägen. Nur aktiv wurde er nicht."

Immerhin gab es Reihenuntersuchungen in Schulen, die erwiesen, dass die Kinder in hoch belasteten Gebieten deutlich erhöhte Blei- und Cadmiumwerte im Haar hatten.

Solche Befunde wurden für Gertrud Becker zum Treibsatz, der sie auf immer neue Umlaufbahnen um den Problemkomplex Nordenham beförderte. Sie ließ nicht locker; sie registrierte die Sterbenachrichten in der Lokalpresse, sortierte die heraus, die jünger als siebzigjährig starben und markierte die Fälle auf dem Stadtplan; all das übertrug sie mit roten Klebepunkten in eine Karte mit den Belastungszonen.

Ihre Ergebnisse legten einen alarmierenden Schluss nahe: Häufungen von (statistisch frühen) Todesfällen fanden sich in räumlicher Übereinstimmung mit hoher Schadstoffbelastung - am deutlichsten wenn zur Grundbelastung noch die Nachbarschaft anderer emittierender Betriebe dazu kam.

Im Grund genommen gelang der profilierten Amateurin - allen damaligen Unkenrufen der Profis zum Trotz! - so etwas wie Pionier-Arbeit für lokale Krebskataster, wie sie dann später, seit 1994, mit verfeinerten Methoden etabliert wurde.

Offenbar braucht der Mensch, um sich emotional aufzuraffen, starke Bilder. So wenig wie anonyme Opferzahlen in der Kriegsberichterstattung das Gemüt erschüttern, so sehr vermögen es weinende Kriegswaisen oder tote "eigene" Soldaten ("...our brave boys in Bagdad!").

Gertrud Becker registrierte, dokumentierte, informierte, versorgte Wissenschaftler und Presse mit Datenmaterial, unterstützte Schüler- und Studentenarbeiten zum Thema. Kurzum: Sie wurde zur Institution.

Zuhause füllten sich derweil die Regale mit hoch spezieller Fachliteratur; und dass die Aktenberge sich nicht zur heimatlichen Drohkulisse auswuchsen, verhinderte Gertrud auf umwerfend pragmatische Art und Weise: "Wenn ich nicht mehr durchblickte, bin ich den Experten auf die Bude gerückt. Wer weist denn schon eine harmlos aussehende Hausfrau ab? Ich hatte immer mein kleines Tonband dabei. Und wenn dann einer vor laufendem Tonband nichts mehr sagen wollte, dann war das ja auch eine sehr klare Aussage ..."

Die Frage, ob denn all das etwas nützt, stellte sich nicht. Die Notwendigkeit weiter zu fragen war offensichtlich. Gertrud kennt die Schicksale von Ex-Nachbarn und landwirtschaftlichen Kollegen, die sich von der Preussag auskaufen ließen - unter der Bedingung, fortzuziehen und sich nicht mehr öffentlich zum Thema Blei zu äußern. Wie nennt man so etwas: Schweigegeld?

Gertrud Becker regte Leber- und Nieren-Untersuchungen bei geschossenen Hasen an. Das brachte viel. Vor allem Ärger. Die Jägerschaft wollte sich durch alarmierende Messwerte nicht ihre "Passion" vermiesen lassen, und verweigerte öffentliche Stellungnahmen. Einschlägig "berüchtigt" war und ist Gertrud Becker auch als stetige Besucherinnen von Stadtratssitzungen und Bürger-Fragestunden. Alle, die sich wegen etwaiger Beunruhigung der Öffentlichkeit weit mehr besorgt zeigen als wegen deren realer Gefährdung, pflegen ein gequältes Gesicht aufzusetzen, wenn Gertrud sich zu Wort meldet.

"Aber die Erfahrungen waren ja nicht alle negativ. Ganz und gar nicht. Die Wissenschaftler haben mich immer ernst genommen. Rührend war ein Professor für Bodenkunde in Wien, der mich erst mal mit Kaffee aufgewärmt hat, weil ich doch den weiten Weg von Nordenham bis Wien im Zug gekommen war ..." Er sagte der Weitgereisten zu Ihrem Engagement etwas Bemerkenswertes und Aufmunterndes: "Es sind oft sehr kleine Teilmengen, die eine große Masse in Bewegung setzen."

Und manchmal war man sogar fast die Mehrheit: Der Kampf gegen Atomenergie hatte immerhin einen kräftigen, zeitgeistlichen Rückenwind, erinnert sich Gertrud Becker, und auch die Versuche, geheime Waffentransporte der US-Armee publik zu machen, stieß auf Aufnahmebereitschaft.

Je länger man mit der Bannerträgerin des Wesermarsch- Umweltschutzes spricht, desto deutlicher schält sich heraus: "... klar, es war anstrengend, aber es war auch gut für mich. Es hat mir Spaß gemacht, Dinge herauszufinden und wenn`s geht, auch was zu bewegen."

So war das auch mit dem Guano-Hügel, einem anderen Menetekel der gemeingefährlichen Sorglosigkeit. Bei der Herstellung von phosphorhaltigem Kunstdünger entsteht (unter anderem) Gips als ein Abfallprodukt, in dem sich ein radioaktiver Begleitstoff der Phosphate zu beachtlichen Konzentrationen anreichert.

Das ist in Fachkreisen grundsätzlich bekannt; aber es sollte wohl nicht öffentlich bekannt werden. Gertrud ließ sich auch in diesem Fall nicht mit dem üblichen Flachreden von Problemen abbügeln, sie fragte, recherchierte, insistierte.

Und einmal mehr war Körpereinsatz gefragt: Sie fand die nötigen Löcher im Absperrzaun, um Proben zu nehmen. Gertrud übergab diese Bremer Studenten. Aber "... wie das immer so geht, es kam nie zu Untersuchungen vorort". Die Kunstdüngerhersteller wussten das zu verhindern. Und weas heißt das für Gertrud? "Ich müsste noch mal rauf auf den Berg, nachmessen! Die Kinder kriechen durch den Absperrungszaun, rodeln da sogar bei Schnee. Ja, ich denke, ich geh noch mal auf den Berg!"

Zuvor will sie aber noch überprüfen, ob die Zinkkresse, cardaminopsis halleri - ein quasi-natürlicher Anzeiger von Schwermetallbelastung - immer noch so kräftig ins Kraut schießt entlang der Wegränder und Bahndämme.

Etwas müde ist sie geworden, mit den Jahren. Mal eben nach einem Arbeitstag mehrere Stunden Aktenstudium drauf packen, sich aufs Fahrrad schwingen, um beim Pressetermin irgendwo vorort dabei zu sein, damit die richtigen Fragen gestellt werden ... das fällt naturgemäß schwerer mit 81 Jahren. "Aber so ist das eben, muss ich mit leben ... Nur dass so wenig nachkommt, das tut schon ´n büschen weh. DIE GRÜNEN haben heute andere Themen. Klar, die wollen ja auch gewählt werden. Aber seltsam ist es schon, dass von der Seite so wenig kommt. Die Probleme bei uns sind doch nicht plötzlich weg, nur weil keiner mehr davon hören mag ..."

Nein, sie sind nicht weg. Und Gertrud ist noch da. Und die Hoffnung belebt sich, dass nach der "Generation Golf" - der Jugend-Spaßgesellschaft der Neunziger - die "Generation Golfkrieg II" sich wieder mehr um den schleichenden Dritten Weltkrieg kümmert, der da heißt: Mensch global gegen die Erde.

Zeit wär`s.

Interview und Text:
Claus Peter Lieckfeld, Bärbel Supper, Wolfgang Meiners
Im Frühjahr 2003
Aus der Nordwest Zeitung Lokalteil Wesermarsch/Nordenham vom 22.10.1003

Im Arbeitszimmer Rot ist der Mensch, grün die Pflanzen und gelb der Boden. Nach diesen Farben hat Gertrud Becker ihr Akten-Archiv in Gut TOngern geordnet. Neue Akten kommen jetzt nicht mehr hinzu. Ein eigenes Labor hat sie nie besessen.

Großmutter des Umweltschutzes

AUSZEICHNUNG
Gertrud Becker in Bodenwerder für
lebenslange Zivilcourage geehrt

Schon in ihrer Jugend war die Schwermetall-Belastung ein Thema. Im Elternhaus wurde darüber gesprochen.
von henning bielefeld
NORDENHAM - Fremdwörter mag Gertrud Becker gar nicht. „Aber das Wort Zivilcourage, das gefällt mir“, sagt die Eignerin von Gut Tongern am Mittelweg. Kein Wunder: Kaum ein Wort passt besser zu Gertrud Beckers Lebensweg als dieses. Am Wochenende ist sie in Bodenwerder mit dem Solbach-Freise-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet worden.

Angst hat Gertrud Becker wohl nie gehabt, dazu ist sie auch viel zu interessiert an allem, was um sie herum geschieht. Charme und Schlagfertigkeit sind weitere prägende Charaktereigenschaften. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass die Landwirtin sich zur ersten Umweltschützerin Nordenhams entwickeln konnte.

Die Wurzeln reichen zurück bis in ihr Elternhaus in Hannover. Gertrud Becker wurde am 12. November 1922 als Tochter des Lehrers Emil Hemken geboren. Ihre Großeltern waren Bauern in Coldewärf, die auch Land im direkten Umfeld der damals neuen Industriebetriebe besaßen. „Deshalb haben wir zu Hause oft über die Auswirkungen der Industrie-Abgase auf das Land gesprochen“, erinnert sich Gertrud Becker.

Diese Gespräche trafen einen Nerv in ihr: „Die Gifte haben mich schon immer interessiert.“ Nach dem Abitur 1942 nahm sie in Göttingen ein Medizin-Studium auf. Sie kam bis zum Vorphysikum, dann wurde die Universität kriegsbedingt geschlossen. Im selben Jahr, 1944, wurde ihr Elternhaus zerbombt, und so zog sie zu ihrer Großmutter nach Nordenham.

Das Kriegsende erlebte sie im Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo sie ausgemergelte Juden, Polen und Russen wusch. „Nach diesen Eindrücken konnte ich nicht mehr Ärztin werden“, sagt Gertrud Becker.

Sie blieb in Nordenham, entschied sich für die Landwirtschaft. Beim Tanz in der „Friedeburg“ lernte sie Fritz Becker kennen, heiratete ihn 1951 und bekam drei Söhne.

Ende der Sechzigerjahre fing sie als Kochlehrerin in der Südschule an und übernahm bald auch andere Fächer. Im Biologie-Unterricht führte sie ihre Schüler an die alten Schlackenwege und zeigte ihnen die Zinkkresse, „die Zeigerpflanze für Schwermetalle“. Für ihre Arbeit bekam sie in einem schulinternen Wettbewerb den ersten Preis und Anerkennung von einem Schulrat in Oldenburg. Mit so viel Lob wurde sie dann sehr lange nicht mehr bedacht.

Als Besitzerin von Land im Umfeld der Hütte hatte sie Anspruch auf alle Akten, die sie akribisch sammelte, als wissenschaftlich Gebildete bekam sie Zugang zu Professoren, und dank ihrer Schlagfertigkeit und ihres Charmes nahm sie es in jeder öffentlichen Anhörung mit jedem Sachverständigen auf, fragte nach, insistiere, zeigte Widersprüche auf. Auch wenn sie, wie so oft bei Ausschuss- und Ratssitzungen, nicht den Mund aufmachte, wurde sie als Personifikation des öffentlichen Gewissens wahrgenommen.

Meist trat sie allein auf, manchmal unterstützt durch den – inzwischen verstorbenen – Landwirt Walbert Strahlmann, der ebenfalls im direkten Umfeld der Hütte wirtschaftete. Die Umweltstation Iffens war ihr eine Stütze, berief sich aber auch oft auf sie.

Doch jetzt, mit fast 81 Jahren, sammelt Gertrud Becker keine Akten mehr. „Ich bohre nicht mehr nach“, sagt sie, „ich bin müde geworden.“ Doch dann blitzt ihr spitzbübisches Lächeln auf: „Früher wurde ich mit meiner Kritik oft unter der Decke gehalten. Und jetzt sagen plötzlich alle: Den Preis hast du verdient.“ Umweltschutz wird auch in Nordenham nicht mehr als Arbeitsplatz-Killer wahrgenommen. Auch dazu hat Gertrud Becker beigetragen.

Das Lied von Faltenrock:

mehr zur Rockband gibt es bei der Faltenrock-Seite

Gertrud als Miss Marple von Nordenham

Miss Marple

Wenn die Stadt im Dreck versinkt
Gertrude sich aufs Fahrrad schwingt
mit Regenmantel, Schirm und Charm.
Wenn wieder mal der Schornstein brennt
die ganze Stadtverwaltung pennt
auf Akten, und Erlässen.

Refrain:

Da ist Miss Marple
mal wieder bereit
auf ihrem Fahrrad
ist kein Weg zu weit.
Sie ist unermüdlich
zu suchen was schädlich
auf heimlichen Spuren
kommt sie auf Touren.

Wenn heavy metal in der Luft
der Industrie der Motor pufft
mit Cadmium, Arsen und Blei,
wenn Kühe auf dem Land krepieren
die ganzen Leute nix kapieren
und alle denken das geht vorbei.

Wenn Professoren Miss Marple sehn
und denken, die ist leicht umzudrehen
dann liegen sie bestimmt verkehrt.
Denn schnell stellt sie die frechen Fragen
den Experten platzt der Kragen
nix daran ist mehr verklärt.

Gertrude gib uns neuen Mut
wenn´s sein muss auch ne Portion Wut
und spitze Zunge, die tut gut.
Und ist der Ruf auch ruiniert
lebt sich´s völlig ungeniert
auch mit achtzig Jahren.

Musik und Text: Bärbel Supper Faltenrock 1999


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