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Ein Text über die Dünnsäureverklappung in der Nordsee.
Wolfgang Meiners, 1985
 
 

Das bischen Säure ?

Der vertrauensvoll gekleidete Firmenvertreter nimmt einen Schluck aus einem Wasserglas, ein Schluck der umstrittenen Dünnsäure in derselben Konzentration, wie sie die Nordseefische im " Verklappungsgebiet" der Abfallschwefelsäure genießen sollen.
Dünnsäure ist etwa 20%-ige Schwefelsäure und ein Abfallprodukt bei der Produktion des hellweißen Farbpigmentes Titandioxid. Sie wird vor Helgoland in die Nordsee verteilt.
Der menschliche Selbst-Tester macht trotz der Säure keine saure Miene, denn er hofft, daß wir in der Schule im Biologie- und Chemieunterricht nicht genug ausgepasst haben.
Wenn wir als Mensch Säuren vertragen, können wir nicht darauf schliessen, daß auch Fische solches in gleichem Masse tun.
Wir gehen bei politischen Entscheidungen wie z.B. Einleitungsgenehmigungen oft von solchen menschlichen Annahmen aus, und wundern uns, wenn dadurch Ökosysteme empfindlich gestört werden.

 Thema dieses Beitrags soll also die Vergleichbarkeit von Ökosystemparametern (Umweltfaktoren) für verschiedenen Lebewesen sein. Die Grundüberlegungen können in verschiedenen Fächern in das eigene Unterrichtskonzept eingefügt werden:

 1. Anpassung der Lebewesen an Umweltfaktoren während der Evolution.

Immer wieder ist ein beliebtes Thema im Unterricht die verblüffende Vielfalt, mit der sich Lebewesen an die z.B. physikalischen Parameter ihres Lebensraumes angepasst haben.
Etwas schwerer zu verstehen ist schon , wie sich Lebewesen auf die Bandbreite der Veränderung solcher Parameter eingestellt haben.
So können wir als Menschen bei verschiedenen Temperaturen leben, und benutzen dazu natürlich auch Hilfsmittel. Manche solcher Parameter dürfen in einem sehr grossen Bereich schwanken, ohne den Organismus erheblich zu stören. Dazu gehören z.B. Helligkeit, Schallstärke und eben auch der "Säurewert". Diese Anpassungen haben einen wichtigen Sinn, denn der Mensch hat sich während der Evolution mit diesen Werten in seiner unmittelbaren Umwelt auseinandersetzen müssen, er hat diese Bandbreite der Veränderungen überleben müssen.

 2. Der pH-Wert in der Umwelt des Menschen

Den Säure-Wert messen wir in der Konzentration der "Wasserstoffionen" und drücken die Maßzahl als Zehnerpotenz, als pH-Wert, aus.
Nun hat schon der Chemieunterricht Probleme diese Darstellung des negativen Dekadischen Logarithmus anschaulich zu machen, vielleicht können Beispiele wie dieses oder wie das vom sauren Regen diesen mathematischen Formalismus an alltäglichen Effekten erklären. Ich will mich hier auf die Fragestellung beschränken: Wie gross ist der Bereich der Veränderung, den wir als Menschen vertragen ?
Der Konzentrationsunterschied an Säure (Wasserstoffionen) zwischen neutralem Trinkwasser und Zitronensaft beträgt etwa fünf pH-Wert Stufen, das bedeutet ein Säurekonzentration, die hunderttausend mal stärker ist. Dieser Säurewert schädigt unsere Haut kaum, sie hat es eben gelernt, damit umzugehen. Weil solche Säurekonzentrationen in der normalen Umwelt des Menschen schon immer vorgekommen sind.

3. Der pH-Wert in der Umwelt der Fische

 Nordseefische kennen keine Unterschiede in der Säurekonzentration ihres Lebensraumes. Das Nordseewasser hat auch Salze schwacher Säuren und schwacher Basen wie zB Kalk gelöst und ist damit ein gutes Puffersystem. Die Fische haben in ihrer Evolution also auf die Veränderung von pH-Werten keine Rücksicht zu nehmen brauchen. Ihre Haut ist nicht besonders gegen Verätzungen durch Säuren geschützt, weil es zum Überleben nicht nötig war. Wieviel Veränderung der Säurekonzentration können wir den Fischen zumuten ? Und wie machen es wir den entscheidenden Politikern klar, daß "nur eine pH-Stufe" eben doch schädlich für die Fische sein kann ?

4. Auch der Mensch ist empfindlich

 In der Umwelt des Menschen gibt es auch solche Ökosystemparameter, die sich im Verlaufe seiner biologischen Entwicklung nicht verändert haben. Solch ein Wert ist die Sauerstoffkonzentration in unserer Atemluft. Sauerstoff ist für unser Leben zweiffellos sehr wichtig, aber wir haben in unserem Körper noch nicht einmal ein Erkennungssystem für die Sauerstoffkonzentration. Wir regeln unsere Atmung über die Konzentration an Kohlendioxid. Grössere Veränderungen in der Sauerstoffkonzentration machen uns starke Probleme, verringern wir sie von ca. 21% auf 7% , dann kann nach drei Minuten bereits Bewusstlosigkeit eintreten, bei 5% Sauerstoff in der Atemluft schaltet unser Gehirn bereits nach 80 Sekunden ab.
Verändern wir die Sauerstoffkonzentration um nur eine Zehnerpotenz, also um eine "pH-Stufe" , dann sind wir in 30 Sekunden bewusstlos.

 "Leichte" Veränderungen der Sauerstoffkonzentration bewirken beim Menschen keine schnellen Zeichen von Krankheit. Nach längerer Zeit in "verbrauchter" Luft bemerken wir aber Konzentrationsmangel, Müdigkeit, die Arbeitsleistung sinkt, die Fehlerhäufigkeit steigt. Mit ständigem tiefen Durchatmen können wie den Mangel in Grenzen ausgleichen, aber keinesfalls in dem Umfang von einer Zehnerpotenz.
Haben wir nun eine zusätzliche Belastung wie zB Erschöpfung, Hunger oder eine leichte Infektion, so kann sich zusammen mit dem Sauerstoffmangel ein sichtbarer Gesundheitsschaden entwickeln.

5. Vergleichbarkeit von Umweltfaktoren

 "Ärger nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz" haben wir in der Schule gelernt, eine moralische Ermahnung, deren Umkehrung wir auf keinen Fall als Entscheidungshilfe bei der Genehmigung von Umweltverschmutzungen anwenden dürfen :
Was ich nicht merke, schadet auch dem Tier (Fisch) nicht.

 Mir ist nicht bekannt, ob das Glas mit verdünnter Dünnsäure dem mutigen Industrievertreter nun geschadet hat, oder nicht. Die technische Dünnsäure aus der Produktion des Werbe-Weißen Titandioxids enthält eine breite Palette verschiedenster anderer Schadstoffe, die für Fische und für Menschen gleichermaßen giftig sind wie z.B. Quecksilber, Arsen usw.
Und natürlich kann der Dünnsäuretrinker , nachdem die Fotoapparate der Presse sich abwenden, dann mit genügend viel anderen Getränken nachspülen. Eben das kann der Fisch im Verklappungsgebiet vor Helgoland nicht, er ist der Säure lange Zeit ausgesetzt. Wie die Einwirkungsdauer einer Säure auf die Haut wirkt können wir selbst leicht ausprobieren, halten wir unsere Hand doch mal einige Zeit in frischen Zitronensaft.

 6. Wohin also mit dem bischen Säure?

 Wir werden auch in der Schule immer mehr die Eigendynamik und Verneztung von Ökosystemparametern besprechen. Beispiele mit hoher Aktualität helfen uns dabei die Rolle naturwissenschaftlicher Parameter bei wirtschaftlich und politischen Abschätzungen zu erkennen. Am Ende wird aber oft die Frage kommen " was soll denn die Behörde oder der Produzent der Dünnsäure tun ?" .

 Dünnsäure - an Politiker verteilen?
- wieder aufarbeiten?
Titandioxid - nicht verwenden?
- anders herstellen? usw.

 Dabei entwickel SchülerInnen oft viel mehr Phantasie als die politischen Entscheidungsträger, und wir sollten sie, auch wenn es nicht unmittelbar zum Unterrichtsthema gehört, zulassen. Nur können Lösungsvorschläge in der Schule wohl nicht ausdiskutiert werden. Wenn die Schüler jedoch die Gefahr der Dünnsäure für die Fische logisch verstanden haben ist auch die Chance höher, daß Handlungsalternativen im Alltag und im späteren Beruf nachhaltig umgesetzt werden.


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